„Das Kepler“ und die Frauen

Über die ehemaligen Mädchenschulen in Cannstatt habe ich schon geschrieben. Und nun das Kepler? War das nicht eher eine Jungenschule?
Ja, aber …
Immer wieder habe ich über einzelne Mädchen gelesen, die das Kepler-Gymnasium besucht, dort ihr Abitur gemacht haben. Dem wollte ich nachgehen. Und ganz nebenbei die Geschichte des heutigen Johannes-Kepler-Gymnasiums erzählen. Eine lange Geschichte.

Im Mittelalter als Lateinschule gegründet

Denn die Schule, die heute Johannes-Kepler-Gymnasium heißt, wurde schon am Ende des Mittelalters als Lateinschule gegründet. Was sind Lateinschulen? Nun, wie der Name sagt, lernt man dort insbesondere Latein. Und dies „man“ meint wirklich „Mann“. Auf diese Schulen gingen nur Jungen. Mädchen durften nicht Latein lernen. Jetzt denkt man, warum sollten die Mädchen auch Latein lernen wollen? Aber da sehr viele Bücher der Wissenschaft damals nur in dieser Sprache geschrieben waren, war sie sehr wichtig. Und indem man die Mädchen von Latein fernhielt, hielt man sie auch von der Bildung fern.

Die Lateinschule in Cannstatt wurde 1484 das erste Mal erwähnt. Das ist auch die Zeit, in der in anderen Städten Lateinschulen entstanden. Eine Zeit, in der sich mit dem Humanismus die Begeisterung für die alten Sprachen Latein und Alt-Griechisch verbreitete. Eine humanistische Bildung meinte – auch in der Lateinschule in Cannstatt – insbesondere die Beschäftigung mit den alten Sprachen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts entfielen in der Abiturklasse von den 32 Stunden in der Woche 13 auf diese alten Sprachen.

Im 16. Jahrhundert wurde die Lateinschule in Cannstatt um eine Deutsche Schule erweitert, in der anstatt Alt-Griechisch Französisch unterrichtet wurde. Sicherlich eine Notwendigkeit, wenn man bedenkt, dass bis ins 19. Jahrhundert die Kommunikation in den führenden gesellschaftlichen Schichten über Ländergrenzen hinweg in Französisch erfolgte.

Interessanterweise war das Schulgeld in der Lateinschule niedriger als das in der Deutschen Schule. Vielleicht eine Art Förderung der Lateinschule?

Mehr Deutsch, Mathe und Naturwissenschaften

Im Verlauf des 18. und dann insbesondere des 19. Jahrhunderts verlagerte sich der Schwerpunkt immer mehr zu den sogenannten Realen Fächern: Mathematik und Naturwissenschaften, neben Deutsch und Geschichte.

1838 wurde in Cannstatt eine Realschule für Jungen errichtet, die dann 20 Jahre später mit der Lateinschule zusammengeschlossen wurde und den Namen Lyceum erhielt.

Jahn-Realschule

Die Lateinschule und die Deutsche Schule befanden sich zunächst in einem Gebäude beim heutigen Rathaus, eigentlich auf dem heutigen Marktplatz. Ab 1865 wurden sie in einem Gebäude in der heutigen Überkinger Straße untergebracht. Ab 1877 erhielten sie ein neues Gebäude, die heutige Jahn-Realschule am Neckar.

Und zehn Jahre später kaufte die Stadt Cannstatt das Gebäude des Hotels Wilhelmsbad, um dort das Lyceum unterzubringen. Nun erhielt die Schule den Namen Königlich Württembergisches Gymnasium in Cannstatt. Ein fürwahr „wichtiger“ Name.

Die Antike an der Gebäudefront

Erst 1912 wurde das jetzige Gebäude in der Daimlerstraße errichtet.

Homer, Goethe und Cäsar über dem Hauptportal

An der Außenfassade versuchte man die Ausrichtung der Schule auf eine humanistische Bildung deutlich zu machen. Über dem Eingang und dem Rektoratszimmer in der Mitte finden sich die Köpfe von Caesar, Goethe und Homer, als Vertreter der in der Lateinschule wichtigsten Sprachen: Latein, Deutsch und Griechisch.

Herkules, Fortuna, Prometheus und Veritas

Auf dem Dach finden sich – wenn man genau hinschaut – noch weitere Figuren: Rechts sehen wir Fortuna mit dem Glücksball, links liegt Veritas, die Göttin der Wahrheit. Die Himmelskugel in der Mitte wird von dem vorausdenkenden Prometheus und dem für seine Stärke bekannten Herkules umrahmt.
Auch diese Figuren erinnern also an die Antike. Interessant ist der Ausgleich zwischen den Geschlechtern. Kann das vielleicht bereits als Vorgriff auf die Zulassung der Frauen beziehungsweise der Mädchen an das Gymnasium gedeutet werden?

Wie sahen damals die Möglichkeiten für Mädchen in Stuttgart aus ein Gymnasium zu besuchen?

Von der Höheren Bildung, von den Gymnasien, vom Abitur und damit vom Studium waren die Mädchen und Frauen in Württemberg, ähnlich wie in allen deutschen Staaten, bis Ende des 19. Jahrhunderts ausgeschlossen.

Erste Abiturientinnen Württembergs legen am Kepler ihr Abitur ab

Erst 1899 gründete Gertrud Schwend mit zunächst wenigen Schülerinnen das erste Gymnasium für Mädchen in Stuttgart. Dieses Private Mädchengymnasium, das heutige Hölderlin-Gymnasium, war damit auch das erste Mädchengymnasium in Württemberg und das zweite nach Karlsruhe im Deutschen Reich. Die jungen Frauen hatten zuvor eine Höhere Töchterschule besucht und mussten nun in wenigen Jahren die Fächer nachholen, die damals für das Abitur notwendig waren, aber an der Höheren Töchterschule nicht gelehrt werden durften. Das waren Latein, Griechisch und die Höhere Mathematik. Vorgesehen waren sechs Jahre, aber diese jungen Frauen waren so intelligent, so fleißig und wissbegierig, dass vier von ihnen schon nach fünf Jahren 1904 ihr Abitur ablegten. Da das Private Mädchengymnasium dies nicht selber abhalten durfte, mussten die jungen Frauen das an einem „anerkannten“ Gymnasium für Jungen machen. Das Cannstatter Gymnasium bot sich dafür an, da der Vater von Hedwig Dinkel, der jüngsten der Abiturientinnen, dort als Oberpräzeptor tätig war.
Vielleicht zeugt das aber auch von einer gewissen Offenheit in Cannstatt für das Abitur und damit die Zulassung der Frauen zum Studium.

Diese vier Abiturientinnen waren die ersten Frauen in Württemberg, die das Abitur ablegten, und sie waren auch die ersten Studentinnen Württembergs:

  • Martha Vollmöller studierte Medizin in Tübingen.
  • Gertrud Stockmeyer, deren Vater sich als Jurist für den Ausbau der gymnasialen Bildung der Mädchen eingesetzt hatte, studierte Philologie und Geschichte in Tübingen.
  • Anna Stettenheimer studierte in Tübingen zunächst Medizin, wechselte dann aber zur Physik. Nach ihrer Promotion unterrichtete sie am Stuttgarter Mädchengymnasium. 1912 heiratete sie den Philosophen und Rechtstheoretiker Adolf Reinach.
  • Hedwig Dinkel studierte in München und Tübingen Medizin. Sie war die erste staatlich geprüfte Ärztin in Württemberg. Sie lernte bei ihrer Ausbildung im Cannstatter Krankenhaus den Arzt Heinrich Braun kennen, den sie 1912 heiratete. Sie bekamen vier Kinder und betrieben in Cannstatt eine Gemeinschaftspraxis.

Anneliese Braun war das erste Mädchen, das die gesamte Schulzeit am Kepler absolvierte

Mit der Abiturprüfung für diese jungen Frauen hat das Cannstatter Gymnasium also Geschichte geschrieben, aber als Schülerinnen wurden Mädchen zunächst noch nicht aufgenommen. Das bedurfte des Kampfes einer einzelnen Cannstatterin, eben jener Hedwig Braun, geborene Dinkel, die bereits 1904 am Gymnasium ihr Abitur abgelegt hatte. Sie erkämpfte 1923 für ihre Tochter Anneliese Braun die Zulassung ins Gymnasium. Sie schrieb an die Schule, an die Stadt Stuttgart und an das Kultusministerium und erreichte, dass Anneliese im Cannstatter Gymnasium zugelassen wurde. Andere Mädchen stiegen gleichzeitig in höheren Klassen ein. Aber Anneliese Braun war die erste Schülerin, die von der fünften Klasse bis zum Abitur am Gymnasium war.

Anneliese Braun und Hermine Fuchs in der Quarta (1924)

In der sechsten Klasse kam ein weiteres Mädchen dazu: Hermine Fuchs. Damit die beiden Mädchen nicht zu viel schwätzten, wurden sie auseinander gesetzt. Und Anneliese saß neben ihrem Klassenkameraden Thaddäus Troll.
Zum Turn- und Handarbeitsunterricht gingen die beiden Mädchen in die benachbarte Mädchenrealschule.

Anneliese Braun machte 1932 ihr Abitur, studierte Medizin und wurde Kinderärztin in Cannstatt. Über sie und ihre Mutter lohnt sich sicherlich mal ein gesonderter Blogbeitrag.

Mit Anneliese Braun waren also schon relativ früh Mädchen im Cannstatter Gymnasium zugelassen, auch wenn sie eine Minderheit blieben. Das hatte dann aber 1937 ein Ende, als die nationalsozialistischen Machthaber den Ausschluss der Mädchen aus dem Gymnasium forderten. Eine gebildete Frau entsprach nicht ihrem Frauenbild. Zum anderen musste das Gymnasium umbenannt werden: von Gymnasium in Oberschule. Und die Schule sollte nach einem verdienten Mann der Geschichte oder einem nationalistischen Helden benannt werden. Man entschied sich für den verdienten Mann der Geschichte Johannes Kepler.

Heute sind Schülerinnen und Lehrerinnen am Kepler eine Selbstverständlichkeit

Erst 1966 wurden dann wieder Mädchen im Johannes-Kepler-Gymnasium zugelassen. Interessanterweise geschah das genau in dem Jahr, als man wieder mit Latein als erster Fremdsprache begann, gefolgt von Englisch und Französisch. Vielleicht erhoffte man sich durch die Zulassung der Mädchen in den sprachlichen Zug, diesen voll besetzen zu können. Viele Jungen wählten lieber den naturwissenschaftlichen Zweig.
In den naturwissenschaftlichen Zug wurden Mädchen erst ab 1975 aufgenommen.

Heute gehen die Cannstatter Mädchen wie selbstverständlich auf „das Kepler“ und auch der Anteil der Frauen im LehrerInnen-Kollegium scheint ziemlich hoch zu sein, wenn man sich ein aktuelles Foto auf der Website anschaut.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Heinz Fäh: Von der Lateinschule zum Johannes-Kepler-Gymnasium, in: Das Johannes-Kepler-Gymnasium Bad Cannstatt. Festschrift im Jubiläumsjahr 1987, Stuttgart 1987, S. 12 – 63

Bildnachweise

  • Homer, Goethe und Cäsar am Haupteingangsportal:
    Von Reise Reise, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20273246 (bearbeitet)
  • Anneliese Braun und Hermine Fuchs in der Quarta 1924
    aus: Das Johannes-Kepler-Gymnasium Bad Cannstatt. Festschrift im Jubiläumsjahr 1987, Stuttgart 1987, S. 47
  • Alle anderen Bilder privat

Die Lehrerin Jenny Heymann

Im November letzten Jahres besuchte ich im Albertus-Magnus-Gymnasium im Sommerrain eine Ausstellung über die jüdische Lehrerin Jenny Heymann.
Die Ausstellung interessierte mich, da ich von Jenny Heymann schon des Öfteren gehört hatte und das AMG die Schule meiner Kinder war. Ich hatte mich mit dem Religionslehrer Dr. Alfred Hagemann verabredet, der an dem Projekt einen maßgeblichen Anteil hatte.

SchülerInnen führen durch die Ausstellung

Als ich die Aula betrat, führten gerade SchülerInnen der Oberstufe eine Klasse durch die Ausstellung. Sie erläuterten, was das Besondere an Jenny Heymann war: Sie war eine sehr warmherzige Lehrerin, die bis ins hohe Alter Kontakt zu ihren Schülerinnen hielt.  Sie wurde als Jüdin verfolgt und musste ins Exil nach England. Dennoch kehrte sie nach dem Krieg nach Deutschland zurück und setzte sich bis an ihr Lebensende für Versöhnung ein. Sie ließ sich nicht unterkriegen und kämpfte für ihre Vorstellungen. „Sie war ein großes Vorbild, auch für ihre Schülerinnen.“

„Guides“ im Albertus-Magnus-Gymnasium

Zuerst das Lehrerinnenseminar und danach ein Studium

Jenny Heymann wurde 1890 in eine Stuttgarter Bankiersfamilie geboren. Sie besuchte das Königin-Katharinen-Stift, wo sie anschließend auch das Lehrerinnenseminar absolvierte. Das war die höchste Ausbildung, die für Mädchen zu dem Zeitpunkt möglich war. Damit konnte Jenny aber nur Unterstufenlehrerin werden. In den höheren Klassen unterrichteten damals nur Männer. Jenny Heymann unterrichtete zunächst am Heidehofgymnasium und anschließend am Königin-Katharinen-Stift. Aber das war ihr zu wenig. Sie wollte studieren und auch die oberen Klassen unterrichten. So besuchte sie ab 1916 in Tübingen erste Vorlesungen, ohne wirklich eingeschrieben zu sein. Dafür benötigte sie noch das große Latinum, das sie nebenher absolvierte. Ab 1919 studierte sie offiziell Neuere Sprachen (Englisch und Französisch) in Tübingen, wo sie 1922 die Staatsprüfung für das Höhere Lehramt ablegte. Nun konnte sie auch Lehrerin in den höheren Klassen werden.

Die SchülerInnen des AMG sind beeindruckt: „Dass das Frauen zur damaligen Zeit gemacht haben, das war nicht selbstverständlich. Das hat viel Stärke gefordert.“

Freundschaft mit Elisabeth Kranz, der ersten Leiterin einer Höheren Schule in Württemberg

Jenny Heymann wechselte mehrfach die Schule, bis sie dann 1929 zur Mädchenrealschule (heutiges Goethe-Gymnasium) nach Ludwigsburg kam. Deren Leiterin Elisabeth Kranz war die erste Frau in Württemberg, die eine Höhere Schule leitete. Mit Elisabeth Kranz blieb Jenny Heymann ihr Leben lang eng befreundet.
Elisabeth Kranz beschreiben die SchülerInnen im Albertus-Magnus-Gymnasium so: „Sie war feministisch, emanzipiert, tolerant. Elisabeth Kranz hat die ganze Zeit während des Nationalsozialismus Kontakt zu ihren jüdischen Freundinnen gehalten. Sie hat sich gegen das NS-Regime geäußert, hat den Hitlergruß verweigert. Dafür wurde sie entlassen. Das hat sie auf sich genommen, um zu ihren Werten zu stehen. Sie war standhaft.“

Jüdisches Landschulheim Hirrlingen

Landschulheim Hirrlingen heute

1933 war Elisabeth Kranz gezwungen, ihre Freundin Jenny Heymann wegen ihres Judentums zu entlassen. Aber Jenny Heymann bekam die Möglichkeit, am Jüdischen Landschulheim Herrlingen weiter zu unterrichten. Sie, die sich eigentlich weit vom Judentum entfernt hatte, lernte in dieser zionistisch geprägten Schule die jüdische Kultur, die jüdischen Rituale kennen. Deren Leiter Hugo Rosenthal wollte die SchülerInnen auf ein Leben in Israel vorbereiten. Die Schule galt aber auch als Zufluchtsort für jüdische SchülerInnen und LehrerInnen. Die Schule war eher reformorientiert und gänzlich anders als die eher autoritär geführten Schulen, die Jenny Heymann bis dahin kannte.

Exil in England

1939 musste das Landschulheim geschlossen werden und Jenny Heymann emigrierte nach England, wo sie als Lehrerin arbeitete und unter anderem Englischkurse für Emigranten erteilte.

1947 kehrte Jenny Heymann nach Deutschland zurück und wurde wieder Lehrerin an der früheren Mädchenrealschule in Ludwigsburg, die nun wieder von Elisabeth Kranz geleitet wurde. Das war nicht einfach für Jenny Heymann, da sie natürlich teilweise die gleichen LehrerInnen und Familien vorfand, die zuvor gegen Juden agiert hatten. Aber sie setzte sich durch und blieb.
Sie organisierte einen der ersten Schüleraustausche nach dem Krieg, zusammen mit einer befreundeten Lehrerin in England.

Gemeinsame Wohnung mit Elisabeth Kranz in der Ameisenbergstraße

Wie vor dem Krieg wohnte sie wieder mit ihrer Freundin Elisabeth Kranz zusammen in der Ameisenbergstraße 39. Elisabeth Kranz hatte die Wohnung von Jenny Heymann übernommen und rettete die Wohnung so vor dem Zugriff der Nationalsozialisten.
Eine Schülerin am AMG meint: „Dadurch, dass Jenny Heymann und Elisabeth Kranz aus der nächsten Umgebung stammen, sind sie für uns sehr zugänglich. Die Wohnung an der Ameisenbergstraße ist ja bei uns in der Nähe.“

Als Elisabeth Kranz 1950 pensioniert wurde, wechselte Jenny Heymann ans Stuttgarter Hölderlin-Gymnasium, dem 1899 gegründeten ersten Mädchengymnasium Württembergs.

Engagement in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Von 1948 an und insbesondere nach ihrer Pensionierung 1955 setzte sich Jenny Heymann für die Versöhnung zwischen den früheren Feinden ein. Zwischen England und Deutschland, aber auch zwischen Juden und Christen. So war sie Gründungsmitglied der 1948 gegründeten Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ). 1958 übernahm sie kurzzeitig sogar deren Geschäftsführung, war aber hauptsächlich im Erzieherausschuss tätig. Später wurde sie Ehrenmitglied.
1990 – mit fast 100 Jahren – erhielt sie die Otto-Hirsch-Medaille von Oberbürgermeister Manfred Rommel für ihre Verdienste um die christlich-jüdische Zusammenarbeit überreicht.

Jenny Heymann wurde 106 Jahre alt und war zeitweise sogar die älteste Stuttgarterin. Sie wurde 1996 auf dem israelitischen Teil des Pragfriedhofs beigesetzt.

Jenny-Heymann-Preis der GCJZ

Seit 2014 schreibt die GCJZ einen Jenny-Heymann-Preis aus und würdigt damit das Engagement von SchülerInnen an weiterführenden Schulen für Toleranz, für interreligiösen Dialog und für Demokratie.

Dr. Alfred Hagemann

Alfred Hagemann erzählt: „Ich bin über die GCJZ auf Jenny Heymann gestoßen. Sie war so ein bisschen in Vergessenheit geraten. Es war sogar sehr schwierig, an ihre Lebensdaten zu kommen. Aber dann fanden wir plötzlich ihre ehemaligen Schülerinnen. Sie treffen sich immer noch, sie erinnern sich an vieles und haben auch vieles aufbewahrt. Es gibt einen Kreis am Hölderlin-Gymnasium und einen am Goethe-Gymnasium in Ludwigsburg. Abitur-Jahrgang 1951, das sind heute meine neuen E-Mail-Freundinnen! Sie sind sehr gut organisiert. Damals mussten sie unter enormem Druck in zerstörten Schulen ihr Abitur machen. Das prägt. Diese Frauen finde ich total bewundernswert.“

Jenny-Heymann-Diversitätspreis der PH Ludwigsburg

Seit 2018 verleiht zudem die PH Ludwigsburg einen Jenny-Heymann-Diversitätspreis. Im Rahmen der Einrichtung dieses Preises startete die PH Ludwigsburg in Kooperation mit der GCJZ ein Projekt, um mehr über Jenny Heymann und ihr Lebensumfeld zu erforschen und zu dokumentieren.

Herausgekommen ist ein Buch über Jenny Heymann, das aber weit über die Person Jenny Heymann hinausgeht. In Aufsätzen von StudentInnen, ProfessorInnen, LehrerInnen wird beispielsweise auf die Bildungssituation von Frauen vom Kaiserreich bis in die Zeit des Nationalsozialismus eingegangen. Die Situation der Juden in Stuttgart wird anhand von Jennys Familiengeschichte dargestellt. Ein Kapitel ist dem Landschulheim Hirrlingen gewidmet, einanderes ihrer Zeit in England. Spannend ist die Beschreibung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als es bei der Entnazifizierung um die Beurteilung ging, welche LehrerInnen noch an den Schulen bleiben konnten, und welche nicht. Interessant sind insbesondere auch die Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen.

Neben diesem wirklich lesenswerten Buch ist eben auch eine Ausstellung entstanden, die im Herbst letzten Jahres im Hotel Silber zu sehen war und anschließend durch die Schulen wandert. Den Anfang machte das Albertus-Magnus-Gymnasium, wo Alfred Hagemann, der im Vorstand der GCJZ Stuttgart sitzt, Religionslehrer ist.

Mitarbeit der SchülerInnen des AMG

Bei diesem ganzen Projekt haben neben den Studierenden der PH Ludwigsburg auch SchülerInnen des Albertus-Magnus-Gymnasiums mitgewirkt. Sie waren bei einigen Interviews mit Zeitzeuginnen, mit ehemaligen Schülerinnen von Jenny Heymann dabei. Alfred Hagemann erzählt: „Sie haben Material geliefert, sie haben die ehemaligen Schülerinnen interviewt. Dies Material haben sie den anderen Leuten gegeben und die haben das dann verwertet. Das war eine wichtige Arbeit. Sie sind natürlich unheimlich stolz, dass da jetzt so ein Produkt entstanden ist.“

Und nun führen SchülerInnen des AMG durch diese Ausstellung. Auf meine Frage, wie die Reaktion der jüngeren SchülerInnen ist, meinen sie: „Allgemein wird aufmerksam aufgepasst. Aber wir erklären auch manche Begriffe, wie z.B. Gestapo. Für die ist manches ganz neu. Für uns ist das ja einfacher, wir haben uns mit dem Thema beschäftigt. Wir wissen, worum es geht. Aber die hören oft was ganz Neues.“

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Melanie Elze, Rosemarie Godel-Gaßner, Alfred Hagemann und Sabine Krehl (Hg.): Jenny Heymann (1890 – 1996). Lebensstationen einer jüdischen Lehrerin mit bildungsgeschichtlichen Streifzügen durch Württemberg, Baltmannsweiler 2020

Bildnachweise

Eugenie von Soden – Frauenrechtlerin aus Cannstatt

Haustür Daimlerstraße 29

Schon oft ist mir die wunderschöne rote Haustür in der Nähe des Daimlerplatzes aufgefallen. Daneben das Schild, auf dem an die Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin Eugenie von Soden erinnert wird. Hier in Cannstatt hat Eugenie von Soden ihre Eltern bis zu deren Tod gepflegt. In die Cannstatter Zeit fallen auch ihre ersten schriftstellerischen Erfolge.

In Esslingen auf der Höheren Töchterschule der Eltern erzogen

Eugenie von Soden wurde 1858 in Esslingen geboren. Sie hat eine Zwillingsschwester und noch vier weitere Geschwister. Ihre Eltern Freiherr Theodor Julius August von Soden und Clementine geb. Camerer waren nach der Revolutionszeit 1848 und der anschließenden Restauration nach Cincinnati ausgewandert. Nachdem sie 1857 wieder nach Deutschland zurückgekehrt waren, eröffneten sie in Esslingen eine private Töchterschule mit Pensionat. Clementine von Soden verfügte über ein Lehrerinnenexamen. In dieser Höheren Mädchenschule erhielten bürgerliche Mädchen eine für Höhere Töchter angemessene Erziehung.

Pflege der Eltern in Cannstatt

Alle drei Töchter der Familie erhielten ihre Ausbildung in der Schule der Eltern, die drei Söhne studierten. Es ist wahrscheinlich, dass Eugenie dies als ungerecht empfand. Sie setzte sich später für das Recht der Frauen auf ein Studium ein. Ihre ältere Schwester Anna leitete nach ihrer Ausbildung als Diakonisse in Frankfurt ein Kinderhospital. Ihre Zwillingsschwester Frieda heiratete einen Konzertmeister. Nur Eugenie blieb als einzige bei den Eltern und arbeitete im Mädcheninstitut mit. Als dieses aus Altersgründen von den Eltern geschlossen wurde, zog Eugenie 1892 mit den Eltern nach Cannstatt und pflegte sie bis zu ihrem Tode, wobei die Mutter bereits nach einem Jahr starb. Die Familie zog mehrfach in Cannstatt um, aber von 1900 bis zum Tod des Vaters 1913 wohnten sie im ersten Stock in der Karlstraße 29, der heutigen Daimlerstraße, dem Haus mit der markanten roten Tür.

Daimlerstraße 29
(früher Karlstraße)

Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit

In ihrer Zeit in Cannstatt begann auch die schriftstellerische Laufbahn der Eugenie von Soden. Zunächst schrieb sie erste kleine Erzählungen und Gedichte. Den Gedichtband „Haidekraut“ widmete sie ihrer Zwillingsschwester Frieda, die Erzählungen „Aus meiner Mappe“ posthum ihrer Mutter. Berühmt geworden ist Eugenie von Soden dann aber durch ihre frauenpolitischen Schriften, die sie in der Schwäbischen Frauenzeitung veröffentlichte. Des Öfteren hatte sie ihre Brüder in Berlin besucht und dort Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung kennengelernt. Deren Ideen und Argumentationen brachte sie mit nach Cannstatt, wo sie nun in der Frauenbewegung aktiv wurde.

Kampf um eine bessere Frauenbildung

Eine bessere Bildung für Mädchen und Frauen war ihr Hauptanliegen. Eugenie von Soden beteiligte sich an der Gründung des „Vereins für weibliche Angestellte in Handel und Gewerbe“, der Frauen im Arbeitsleben unterstützte. Dort leitete sie die Kommission für Unterricht, Belehrung und Unterhaltung. Sie hatte bereits 1896 eine Frauenlesegruppe gegründet, in der die Frauen durch Vorträge und Diskussionen zum Lesen animiert wurden. Auch dadurch sollte die Frauenbildung verbessert werden.

In Stuttgart war sie im Vorstand des Mädchengymnasiums, dem heutigen Hölderlin-Gymnasium, der ersten Schule, an der die Mädchen in Württemberg ihr Abitur machen konnten. Diese Schule ermöglichte den jungen Frauen als erste den Zugang zum Studium. Ein Punkt, der Eugenie von Soden von Kindheit an ein Anliegen war.

Ein weiteres Thema war die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die Beteiligung der Frauen am politischen Prozess. Eugenie von Soden hielt Vorträge wie beispielsweise „Ein soziales Frauenideal“, die dann auch in der Schwäbischen Frauenzeitung abgedruckt wurden.

Der Stuttgarter Frauenclub

Nach dem Vorbild der Herrenclubs gab es ab 1906 einen Stuttgarter Frauenclub. Eugenie von Soden war eine der Gründerinnen. In diesem Frauenclub trafen sich Frauen und Mädchen gebildeter Stände, um gemeinsam zu lesen, zu speisen und zu diskutieren. Dort gab es auch einige Wohnungen für alleinstehende Frauen. Dieser Club war zunächst in der Langestraße 20 in Stuttgart beheimatet, hatte 1914 dann die Adresse Alleenstraße 25 in Stuttgart. Diese Straße gibt es heute nicht mehr, sie führte damals vom Bahnhof über den Friedrichsplatz zum Stadtgarten. In die Alleenstraße 25 zog Eugenie von Soden nach dem Tod ihres Vaters 1913.

Das Frauenbuch“ in drei Bänden – ein Meilenstein der Frauenemanzipation

Vorkämpferinnen der Frauenbewegung
(aus Frauenbuch)

In dieser Zeit gab Eugenie von Soden zusammen mit einigen Kolleginnen die drei Bände des „Frauenbuchs“ heraus. Sie stellen einen Meilenstein der deutschen Frauenemanzipation dar. Mit den drei Bänden wollte Eugenie von Soden eine „allgemeinverständliche Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens der Gegenwart“ geben.
Im ersten Band „Frauenberufe und Ausbildungsstätten“ erinnert Eugenie von Soden daran, dass über Jahrhunderte den bürgerlichen Frauen zwar alle möglichen Arbeiten im Hause, aber keine entsprechende Erwerbstätigkeit außer Haus zugetraut worden war. Aber seit etwa 1870 würden sich die Frauen immer weitere Berufsfelder erobern. Und dann werden in dem Band die verschiedensten Berufsfelder aufgezählt, in denen die Frauen nun – 1914 – arbeiten konnten. Diese Auflistung ist sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Frauen in Württemberg erst seit 1904 zum Studium zugelassen waren, in Preußen sogar erst seit 1908. Neben den Lehrberufen werden die Ärztin, die Apothekerin, die Juristin, die Nationalökonomin und sogar die Mathematikerin und die Ingenieurin genannt. Daneben natürlich Berufe wie Armenpflegerin, Hebamme und Krankenschwester. Aber dann auch die Photographin, die Schriftstellerin und die Journalistin. Und natürlich die Schauspielerin. Bei allen Berufen wird über die Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten und auch über die Probleme berichtet.
Im zweiten Band des Frauenbuchs geht es um die Frau als Gattin, Hausfrau und Mutter. Hier gibt es Hinweise zur Heilkunde, zur Säuglingspflege, aber auch zur Kindererziehung, zur Hauswirtschaft und zur Ernährung.
Im dritten Band informieren Eugenie von Soden und ihre Mitstreiterinnen die Frauen über die Politik, über Recht und Staatswesen. Es ging auch darum, die Frauen auf eine politische Beteiligung durch das Frauenstimmrecht vorzubereiten. Vier Jahre später wurde es ihnen dann ja auch gewährt. Den Artikel über die Frauenbewegung schrieb Eugenie von Soden selbst.

Vorkämpferinnen der Frauenbewegung
(aus Frauenbuch)

Vorsitzende des Württembergischen Vereins für Frauenstimmrecht

Für Eugenie von Soden war die Frau eingebunden in die Gesellschaft, sie sollte nicht auf Heim und Herd reduziert werden. Sie war selber aktiv in den verschiedensten Vereinen und Gruppierungen, mit dem Ziel die Frauenemanzipation voranzubringen. Ihrer Meinung nach war eine wirkliche Änderung der Situation der Frauen nur zu erreichen, wenn die Frauen auch in der Politik mitbestimmen können. So gründete sie 1904 zusammen mit anderen Frauen den Württembergischen Verein für Frauenstimmrecht, dessen Vorsitzende sie zeitweise war.

Tod in Baden-Baden – Erinnern in Cannstatt

Von 1917 bis zu ihrem Tod 1930 wohnte Eugenie von Soden zusammen mit Helene Lorenz in der Augustenstraße 118/2. Sie starb in Baden-Baden, wo sie sich als Schwerkranke zur Kur aufgehalten hatte.
Eugenie von Soden wurde in Esslingen im Familiengrab ihrer Eltern beigesetzt. Dieses Grab existiert allerdings nicht mehr.

Am Haus Daimlerstraße 29 wird mit einer Gedenktafel vom Verein Pro Alt-Cannstatt an sie erinnert. Die Tafel wurde vom Antiquariat Inge Utzt gestiftet. Der Politikerin, die sich in ihrem Antiquariat auf Frauenliteratur spezialisiert hat, ist es ein Anliegen, im Historischen Pfad von Cannstatt auch an wichtige Frauen zu erinnern.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Olaf Schulze: Eugenie von Soden. Vorkämpferin der bürgerlichen Frauenbewegung, in: Pro-Alt-Cannstatt: „Und die Frauen?“ Cannstatter Frauengeschichten aus zehn Jahrhunderten, Ludwigsburg 2021, S.110 – 113
  • Ingrid Gerhake: Eugenie von Soden, Schriftstellerin, stets engagiert für Fraueninteressen, in: WeiblichES. Frauengeschichte gesucht und entdeckt, Esslingen 1999, S.18 – 31
  • Eugenie von Soden (Hg.): Das Frauenbuch. Eine allgemein verständliche Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens der Gegenwart, Stuttgart 1913/1914
    (kann in den Lesesaal der neuen Landesbibliothek bestellt werden. Ein Besuch im Lesesaal lohnt sich schon alleine wegen der Aussicht))

Bildnachweise

  • Porträt Eugenie von Soden: Aus Frauenbuch Band III
  • Fotos vom Haus Daimlerstr. 29: privat