Die Cannstatterin, die in Sindelfingen Ehrenbürgerin wurde: Mina Zweigart

Mina Zweigart

Auf Mina Zweigart bin ich gestoßen, als mich jemand nach Frauen fragte, nach denen in Sindelfingen Straßen benannt werden könnten.
Mina Zweigart war die erste Ehrenbürgerin der Stadt Sindelfingen – und bis heute die einzige Frau. Als ich ihre Biografie nachlas, erfuhr ich, dass sie ihren Mann Paul Zweigart in Cannstatt geheiratet hatte. Warum in Cannstatt? Geboren war sie in Cincinnati.

Es versprach eine interessante Recherche zu werden.

Wilhelmine Bauer aus Cannstatt, geboren in Cincinnati

Fangen wir diesmal bei der Biografie mit ihrem Tod an. Ich hatte gelesen, dass sie zwar in Sindelfingen gelebt hatte, aber in Stuttgart gestorben war. Also musste ihre Sterbeurkunde hier im Stuttgarter Stadtarchiv sein. Diese war sogar online verfügbar. So erfuhr ich, dass sie eigentlich Wilhelmine hieß und 1941 im Ludwigspital in Stuttgart starb. In dieser Sterbeurkunde erfuhr ich auch ihren Geburtsnamen: Bauer. Ihr Vater war der Kaufmann Johannes Bauer aus Cannstatt, ihre Mutter Marie-Luise war eine geborene Schwarz.

Auswanderung der Familie nach Amerika

Nun sind die Bauers bis heute in Cannstatt eine angesehene Obst- und Weinbaufamilie. In alten Cannstatter Adressbüchern finden wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder Weinbauern, die Bauer heißen und meist in der Neckarvorstadt wohnten. Ich nehme an, dass ihr Vater Johannes Bauer aus dieser Familie stammte, aber nicht Weingärtner werden wollte. Er wurde Kaufmann und wanderte mit seiner Frau Marie-Luise nach Amerika aus. In Cincinnati wurde dann ihre Tochter Mina am 9. September 1857 geboren.

Familiengrab Zweigart/Bauer

Imposantes Familiengrab auf dem Pragfriedhof

Auf dem Pragfriedhof befindet sich Minas Grab. Sie liegt neben ihrem Mann Paul im imposanten Familiengrab der Familien Zweigart und Bauer.
Bestattet wurde dort auch ein Wilhelm Bauer, der 1855 geboren wurde und der mit Emma, geborene Burkhardt verheiratet war. Er starb 1929. Ich denke, dass er der ältere Bruder von Mina war.

Georg Bauer, der dort ebenfalls liegt, war nachweislich der jüngere Bruder von Mina und wurde laut seiner Sterbeurkunde 1861 in Heimerdingen geboren. Sein voller Name war Georg Ernst Washington, ein Hinweis auf die Begeisterung der Eltern für Amerika. Wahrscheinlich sind die Eltern also vor 1861 wieder nach Deutschland zurück gekehrt.
Georg Bauer wurde Bankier in Stuttgart, heiratete Elisabeth Nathalie Anna geborene Kleiner und starb 1940.

Wieder zurück in der Heimat Cannstatt

Dann habe ich mich auf die Suche nach der Adresse der Familie Johann Bauer in Cannstatt gemacht. Wo haben sie gewohnt, nachdem sie aus Amerika zurück gekommen waren?

Im Cannstatter Adressbuch von 1866 findet sich ein Particulier Johannes Bauer. Im 19. Jahrhundert wurden so Männer bezeichnet, die ausreichend Vermögen hatten, um sich zur Ruhe zu setzen. Vielleicht hat also Minas Vater Johann (oder John, wie er auch genannt wurde) sein Glück in Amerika gemacht und ist wohlhabend wieder zurück Deutschland gekommen.
Das Haus Wilhelmstraße 23, in dem die Familie von Johann Bauer wohnte, stand da, wo heute die Verlängerung der Liebenzeller Straße auf die Spreuergasse führt. Diese Straße gab es früher nicht. Haus Nummer 23 stand dort etwas zurückgesetzt.

Mina Bauer wurde also in Cincinnati in Ohio geboren, aufgewachsen ist sie aber in der Cannstatter Altstadt. Sie hatte wahrscheinlich einen älteren Bruder Wilhelm und nachweislich einen jüngeren Bruder Georg. Vielleicht besuchte Mina auch die Höhere Töchterschule in Cannstatt? Über eine gewisse Bildung verfügte sie sicherlich.

Heirat mit dem erfolgreichen Kaufmann Paul Zweigart

Auf jeden Fall heiratete Mina (mit vollem Namen Wilhelmine Bauer) am 30. Januar 1878 Paul Zweigart – in Cannstatt!
Wer war dieser Paul Zweigart? Er war, wie ihr Vater, Kaufmann und wäre damit sicherlich nach dem Geschmack ihres Vaters gewesen. Aber Johann Bauer war bereits 1873 gestorben, er erlebte die Eheschließung seiner Tochter also nicht mehr mit. Minas Mutter lebte bis 1908.

Paul Zweigart, dessen Vater Schuhmacher in Stuttgart gewesen war, hatte zusammen mit Julius Sawitzki 1877 in der Furthbachstraße in Stuttgart eine Textilfirma gegründet, die Jacquardweberei betrieb. Einige Jahre später zogen sie mit dieser Firma nach Sindelfingen, wo es damals bereits 115 Webereien gab. Allerdings arbeiteten diese zum großen Teil im Verlagssystem. Das heißt, dass die Menschen zuhause webten und die fertigen Produkte in den Firmen ablieferten.
Zweigart & Sawitzki hatten dagegen moderne Webmaschinen und fertigten industriell.

Das Unternehmen besteht bis heute und ist die letzte Weberei in Sindelfingen.

Zweigart in Sindelfingen

Paul und Mina Zweigart wohnten zunächst in Stuttgart an unterschiedlichen Adressen, alle in der Nähe der Firma. Dann zogen sie zusammen mit der Firma nach Sindelfingen.

Das erste und einzige Kind von Mina und Paul Zweigart starb 1887 bei der Geburt.

Leitung der Firma nach dem Tod von Paul

Paul Zweigart starb 1902 auf einer Geschäftsreise an einem Herzinfarkt und Mina übernahm mit 45 Jahren den Betrieb der Weberei zunächst alleine. Später stellte sie Erwin Wittmann als Geschäftsführer ein.

Unterstützung hilfsbedürftiger Familien während des Ersten Weltkriegs

Aber warum wurde Mina Zweigart nun Ehrenbürgerin von Sindelfingen?
Sie war wohlhabend und nutzte ihr Geld, um anderen Menschen in Notlagen zu helfen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab sie bekannt, dass sie die notleidenden Familien in Sindelfingen, deren Männer in den Krieg ziehen mussten, finanziell unterstützen wolle. Im Gemeinderatsprotokoll steht: „Frau Fabrikant Paul Zweigart Witwe hat dem Stadtvorstand gegenüber gleich zu Beginn des Feldzuges erklärt, dass sie allen hiesigen Familien, welche Anspruch auf die reichsgesetzliche Familienunterstützung haben, von sich aus eine Unterstützung in Höhe der reichsgesetzlichen Bezüge zulegen werde.“
Die Sindelfinger Familien erhielten also eine doppelte Unterstützung.
Dafür legte sie 180.000 Mark auf den Tisch. Nach dem Krieg stiftete sie außerdem ein Ehrenmal für die Gefallenen auf dem Alten Friedhof in Sindelfingen, das 1921 eingeweiht wurde.

Damit war sie in Sindelfingen eine Wohltäterin, die in Erinnerung blieb. Oder zumindest in Erinnerung bleiben sollte.

Am 7. März 1941, während des Zweiten Weltkriegs, starb sie mit 84 Jahren in Stuttgart an Brustkrebs.
Bestattet wurde sie neben ihrem Mann Paul Zweigart, ihren Eltern und Brüdern im Familiengrab auf dem Pragfriedhof in Stuttgart.

Elisabeth Skrzypek

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