Die Cannstatterin, die in Sindelfingen Ehrenbürgerin wurde: Mina Zweigart

Mina Zweigart

Auf Mina Zweigart bin ich gestoßen, als mich jemand nach Frauen fragte, nach denen in Sindelfingen Straßen benannt werden könnten.
Mina Zweigart war die erste Ehrenbürgerin der Stadt Sindelfingen – und bis heute die einzige Frau. Als ich ihre Biografie nachlas, erfuhr ich, dass sie ihren Mann Paul Zweigart in Cannstatt geheiratet hatte. Warum in Cannstatt? Geboren war sie in Cincinnati.

Es versprach eine interessante Recherche zu werden.

Wilhelmine Bauer aus Cannstatt, geboren in Cincinnati

Fangen wir diesmal bei der Biografie mit ihrem Tod an. Ich hatte gelesen, dass sie zwar in Sindelfingen gelebt hatte, aber in Stuttgart gestorben war. Also musste ihre Sterbeurkunde hier im Stuttgarter Stadtarchiv sein. Diese war sogar online verfügbar. So erfuhr ich, dass sie eigentlich Wilhelmine hieß und 1941 im Ludwigspital in Stuttgart starb. In dieser Sterbeurkunde erfuhr ich auch ihren Geburtsnamen: Bauer. Ihr Vater war der Kaufmann Johannes Bauer aus Cannstatt, ihre Mutter Marie-Luise war eine geborene Schwarz.

Auswanderung der Familie nach Amerika

Nun sind die Bauers bis heute in Cannstatt eine angesehene Obst- und Weinbaufamilie. In alten Cannstatter Adressbüchern finden wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder Weinbauern, die Bauer heißen und meist in der Neckarvorstadt wohnten. Ich nehme an, dass ihr Vater Johannes Bauer aus dieser Familie stammte, aber nicht Weingärtner werden wollte. Er wurde Kaufmann und wanderte mit seiner Frau Marie-Luise nach Amerika aus. In Cincinnati wurde dann ihre Tochter Mina am 9. September 1857 geboren.

Familiengrab Zweigart/Bauer

Imposantes Familiengrab auf dem Pragfriedhof

Auf dem Pragfriedhof befindet sich Minas Grab. Sie liegt neben ihrem Mann Paul im imposanten Familiengrab der Familien Zweigart und Bauer.
Bestattet wurde dort auch ein Wilhelm Bauer, der 1855 geboren wurde und der mit Emma, geborene Burkhardt verheiratet war. Er starb 1929. Ich denke, dass er der ältere Bruder von Mina war.

Georg Bauer, der dort ebenfalls liegt, war nachweislich der jüngere Bruder von Mina und wurde laut seiner Sterbeurkunde 1861 in Heimerdingen geboren. Sein voller Name war Georg Ernst Washington, ein Hinweis auf die Begeisterung der Eltern für Amerika. Wahrscheinlich sind die Eltern also vor 1861 wieder nach Deutschland zurück gekehrt.
Georg Bauer wurde Bankier in Stuttgart, heiratete Elisabeth Nathalie Anna geborene Kleiner und starb 1940.

Wieder zurück in der Heimat Cannstatt

Dann habe ich mich auf die Suche nach der Adresse der Familie Johann Bauer in Cannstatt gemacht. Wo haben sie gewohnt, nachdem sie aus Amerika zurück gekommen waren?

Im Cannstatter Adressbuch von 1866 findet sich ein Particulier Johannes Bauer. Im 19. Jahrhundert wurden so Männer bezeichnet, die ausreichend Vermögen hatten, um sich zur Ruhe zu setzen. Vielleicht hat also Minas Vater Johann (oder John, wie er auch genannt wurde) sein Glück in Amerika gemacht und ist wohlhabend wieder zurück Deutschland gekommen.
Das Haus Wilhelmstraße 23, in dem die Familie von Johann Bauer wohnte, stand da, wo heute die Verlängerung der Liebenzeller Straße auf die Spreuergasse führt. Diese Straße gab es früher nicht. Haus Nummer 23 stand dort etwas zurückgesetzt.

Mina Bauer wurde also in Cincinnati in Ohio geboren, aufgewachsen ist sie aber in der Cannstatter Altstadt. Sie hatte wahrscheinlich einen älteren Bruder Wilhelm und nachweislich einen jüngeren Bruder Georg. Vielleicht besuchte Mina auch die Höhere Töchterschule in Cannstatt? Über eine gewisse Bildung verfügte sie sicherlich.

Heirat mit dem erfolgreichen Kaufmann Paul Zweigart

Auf jeden Fall heiratete Mina (mit vollem Namen Wilhelmine Bauer) am 30. Januar 1878 Paul Zweigart – in Cannstatt!
Wer war dieser Paul Zweigart? Er war, wie ihr Vater, Kaufmann und wäre damit sicherlich nach dem Geschmack ihres Vaters gewesen. Aber Johann Bauer war bereits 1873 gestorben, er erlebte die Eheschließung seiner Tochter also nicht mehr mit. Minas Mutter lebte bis 1908.

Paul Zweigart, dessen Vater Schuhmacher in Stuttgart gewesen war, hatte zusammen mit Julius Sawitzki 1877 in der Furthbachstraße in Stuttgart eine Textilfirma gegründet, die Jacquardweberei betrieb. Einige Jahre später zogen sie mit dieser Firma nach Sindelfingen, wo es damals bereits 115 Webereien gab. Allerdings arbeiteten diese zum großen Teil im Verlagssystem. Das heißt, dass die Menschen zuhause webten und die fertigen Produkte in den Firmen ablieferten.
Zweigart & Sawitzki hatten dagegen moderne Webmaschinen und fertigten industriell.

Das Unternehmen besteht bis heute und ist die letzte Weberei in Sindelfingen.

Zweigart in Sindelfingen

Paul und Mina Zweigart wohnten zunächst in Stuttgart an unterschiedlichen Adressen, alle in der Nähe der Firma. Dann zogen sie zusammen mit der Firma nach Sindelfingen.

Das erste und einzige Kind von Mina und Paul Zweigart starb 1887 bei der Geburt.

Leitung der Firma nach dem Tod von Paul

Paul Zweigart starb 1902 auf einer Geschäftsreise an einem Herzinfarkt und Mina übernahm mit 45 Jahren den Betrieb der Weberei zunächst alleine. Später stellte sie Erwin Wittmann als Geschäftsführer ein.

Unterstützung hilfsbedürftiger Familien während des Ersten Weltkriegs

Aber warum wurde Mina Zweigart nun Ehrenbürgerin von Sindelfingen?
Sie war wohlhabend und nutzte ihr Geld, um anderen Menschen in Notlagen zu helfen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab sie bekannt, dass sie die notleidenden Familien in Sindelfingen, deren Männer in den Krieg ziehen mussten, finanziell unterstützen wolle. Im Gemeinderatsprotokoll steht: „Frau Fabrikant Paul Zweigart Witwe hat dem Stadtvorstand gegenüber gleich zu Beginn des Feldzuges erklärt, dass sie allen hiesigen Familien, welche Anspruch auf die reichsgesetzliche Familienunterstützung haben, von sich aus eine Unterstützung in Höhe der reichsgesetzlichen Bezüge zulegen werde.“
Die Sindelfinger Familien erhielten also eine doppelte Unterstützung.
Dafür legte sie 180.000 Mark auf den Tisch. Nach dem Krieg stiftete sie außerdem ein Ehrenmal für die Gefallenen auf dem Alten Friedhof in Sindelfingen, das 1921 eingeweiht wurde.

Damit war sie in Sindelfingen eine Wohltäterin, die in Erinnerung blieb. Oder zumindest in Erinnerung bleiben sollte.

Am 7. März 1941, während des Zweiten Weltkriegs, starb sie mit 84 Jahren in Stuttgart an Brustkrebs.
Bestattet wurde sie neben ihrem Mann Paul Zweigart, ihren Eltern und Brüdern im Familiengrab auf dem Pragfriedhof in Stuttgart.

Elisabeth Skrzypek

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„Der Flug ist das Leben wert“ – die Fliegerin Marga von Etzdorf

Marga von Etzdorf

Der Platz vor dem Stuttgarter Stadtarchiv hier in Cannstatt heißt Marga-von-Etzdorf-Platz. Wer war diese Frau?

Nun: gelebt hat sie nie hier in Stuttgart, aber immerhin ist sie auf ihren Flügen in Stuttgart ab und zu zwischengelandet. Denn sie war Fliegerin in den 1920/30er Jahren. Sie war die erste Frau, die alleine bis nach Japan geflogen ist.

Geboren wurde sie 1907 in Spandau bei Berlin in eine reiche Offiziersfamilie. Ihr Vater war preußischer Hauptmann. Eigentlich hieß sie Margarete Wolff, aber Marga nannte sich nach ihren Großeltern, bei denen sie und ihre Schwester aufwuchsen, nachdem ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen waren. Marga war damals vier Jahre alt.

Am Tag ihrer Flugprüfung

Marga war sehr sportlich: sie ritt und spielte Hockey. Mit 19 Jahren beschloss sie, sich zur Pilotin ausbilden zu lassen. Mit der Abschlussprüfung war sie eine der ersten Frauen in Deutschland mit einer Fluglizenz. Anschließend legte sie auch noch einen Kunstflugschein ab.

Marga legte als eine der ersten Frauen einen Flugschein ab

Um einen erweiterten Flugschein zu bekommen, wechselte sie zur Hamburger Luftverkehrsgesellschaft. In der Prüfung musste sie als Frau, anders als die Männer, drei Stunden lang fünf Prüfern Fragen beantworten. Das Wissen dafür hatte sie sich allerdings nicht auf der Fliegerschule aneignen können, da Frauen dort nicht zugelassen waren. Sie war auf das Selbststudium angewiesen.

Als erste Frau erhielt Marga eine Anstellung als Copilotin bei der Lufthansa und flog unter anderem die Strecke von Berlin nach Basel – mit der Zwischenlandung in Stuttgart.
Anschließend erwarb Marga als eine der ersten Frauen mit einem 90-minütigen Flug über den großen Heuberg auf der Schwäbischen Alb auch noch den Segelflugschein.

Das Tolle am Fliegen sei die Schwerelosigkeit, meinte Marga in einem Radiointerview. Sie erzählte, dass sie beim Fliegen immer singe.
Ich singe jedes Mal, wenn die Maschine mich bei den Loopings in den Himmel reißt. Ich singe, obwohl ich mich selbst durch den Lärm des Motors nicht hören kann.“

Marga kaufte sich ein eigenes Flugzeug, das sie Kiek in die Welt nannte. So wurde sie als Kind von ihren Großeltern gerufen.
Ihre wohlhabende Familie finanzierte ihr die Ausbildung und auch das Flugzeug. Für die Planung und Durchführung der Langstreckenflüge musste sie aber selber Geld verdienen. Solche Langstreckenflüge waren sehr kostspielig, daher absolvierte Marga Reklameflüge, Passagier- und auch Kunstflüge, die sie bezahlt bekam.

Kunstflüge zur Finanzierung der Langstreckenflüge

Ihre Spezialität bei den Kunstflügen waren Loopings und Flüge auf dem Rücken.

Marga von Etzdorf 1930

Da sie offen flog, nur mit einer kleinen Windschutzscheibe vor dem Gesicht, aber ohne Dach über dem Kopf, war sie darauf angewiesen, dass die Gurte fest hielten und sie vor einem Sturz aus dem Flugzeug heraus bewahrten.

1930 startete Marga von Etzdorf ihren ersten Langstreckenflug nach Istanbul. Da sie Probleme mit dem Motor hatte, musste sie zwischendurch immer wieder notlanden. Mit diesem Flug bewarb sie sich für den Hindenburg-Pokal, der höchsten deutschen Sportflugauszeichnung. Aber ihre Bewerbung wurde abgelehnt: nicht weil sie so oft zwischenlanden musste (das war zur damaligen Zeit normal), nicht weil sie eine Frau war (das war nicht normal), sondern weil der Motor ihres Flugzeugs nicht aus Deutschland stammte.

Flug nach Gran Canaria

Aber das Langstreckenfieber hatte sie gepackt. Es gab damals einen regen Wettbewerb, wer welche Strecken fliegen konnte. Zwischenlandungen waren aber immer zugelassen – und auch noch notwendig. Marga ließ in ihr Flugzeug größere Tanks einbauen, um die Zahl der Zwischenlandungen zu verringern.
Bei ihrem Flug von Berlin auf die Kanarischen Inseln musste sie dennoch mehrmals landen: Unter anderem in Basel, Lyon und Madrid. Da der Flug von Spanien aus übers Meer bis zu den Kanarischen Inseln noch zu weit war, musste sie über Marokko fliegen, wo sie ein letztes Mal auftankte. Flüge übers Meer waren damals ein sehr großes Risiko.
In Las Palmas auf Gran Canaria wurde sie dann begeistert empfangen. Für diese Strecke, für die man heute nur wenige Stunden braucht, benötigte sie damals gut drei Wochen. Der Hinflug war störungsfrei verlaufen. Auf dem Rückflug wurde sie allerdings wegen schwerer Unwetter zu einer Notlandung auf Sizilien gezwungen. Als sie dort am nächsten Tag auf einer nassen Wiese wieder starten wollte, berührte ein Flügel die Mauer und sie musste den Start abbrechen. Die Maschine war sehr stark beschädigt und musste mit Schiff und Eisenbahn nach Deutschland ins Werk zur Reparatur zurückgebracht werden.

Für 1931 plante Marga von Etzdorf einen Flug von Berlin nach Tokio. Schon die Planung war sehr aufwändig, da alle Länder, die sie überfliegen wollte, ihre Einwilligung geben mussten. Zudem musste Marga den Flug irgendwie finanzieren, sie musste Sponsoren finden.

Nach Tokio ohne Navigationsgeräte

Am 18. August 1931 startete Marga in Berlin, musste aber wegen schlechten Wetters bereits nach drei Stunden in Königsberg zwischenlanden.

Von Moskau aus flog sie an der Wolga entlang, an der sie sich orientieren konnte. Navigationsgeräte gab es damals nicht. Sie hatte Karten auf dem Schoß und einen Kompass in der Hand und musste schätzen, wo sie sich gerade befand. So benötigte sie immer wieder Orientierungspunkte. Sie überquerte den Ural und folgte dann der Transsibirischen Eisenbahn bis Nowosibirsk.
Als sie in der Nähe der mongolischen Grenze zwischenlandete, war die Presse bereits anwesend. Aber diese erwartete nicht sie, sondern die britische Pilotin Amy Johnson, die ebenfalls Richtung Tokio unterwegs war. Weitere Zwischenlandungen waren unter anderem in Korea notwendig, wo sie nochmals auftankte, bevor sie sich auf den Weg übers Meer nach Japan machte. Der erste Ort in Japan, den sie anflog, war Hiroshima, dann Osaka und schlussendlich Tokio.

Ankunft in Tokio

Am 29. August 1931 erreichte Marga von Etzdorf nach 12 Tagen (11 Flugtagen) die japanische Hauptstadt. Tausende von Menschen begrüßten die Rekordfliegerin am Tokioter Flughafen.

Auf dem Bild erkennt man, dass Margas Gesicht sehr stark gerötet war. Das hing mit dem Fahrtwind zusammen, dem die Haut auf dem Flug ausgesetzt war. Es wurde immer ohne Dach über dem Kopf geflogen.

Da ihre Konkurrentin Amy Johnson zwar früher in Japan angekommen war, aber in Begleitung ihres Mechanikers geflogen war, wurde Marga von Etzdorf als erste Frau gefeiert, die im Alleinflug nach Japan geflogen war.

Nach sechs Wochen in Japan, wo ihr Flugzeug überholt werden musste, machte Marga von Etzdorf sich wieder auf die Heimreise, die natürlich genauso schwierig war wie die Hinreise.

Absturz in Bangkok

In China saß sie nach einer Zwischenlandung zunächst wegen politischer Unruhen monatelang fest. Nach einer Zwischenlandung in Bangkok setzte dann der Motor aus und sie stürzte aus 80 Metern Höhe ab. Sie verletzte sich schwer an der Wirbelsäule und ihr Flugzeug hatte Totalschaden. Nach monatelanger medizinischer Behandlung musste sie mit einem Linienflugzeug zurück fliegen.

Um sich finanziell über Wasser zu halten, hielt sie nun Vorträge über ihren Japanflug und schrieb ihre Autobiografie Kiek in die Welt.

Ihren Plan, als erste Frau nach Kapstadt zu fliegen, musste sie fallen lassen, weil ihre Konkurrentin Elly Beinhorn dies ebenfalls plante. So entschied sie sich für Australien, den Kontinent, der am weitesten entfernt liegt.
Es war nun aber schwierig für sie, ein Flugzeug zu bekommen, da sie das letzte Flugzeug nicht heil von ihrem Langstreckenflug zurückgebracht hatte. Schließlich stellte die Firma Klemm Flugzeugbau ihr nach langen Verhandlungen ein Flugzeug zur Verfügung.

Stop in Aleppo auf dem Weg nach Australien

Sie startete am 27. Mai 1933 von Berlin Staaken aus. Schon bei der Zwischenlandung in Aleppo in Syrien einen Tag später wurde ihr Flugzeug beschädigt, da sie den Fehler begangen hatte, mit dem Wind zu landen. Das Flugzeug hätte aber repariert werden können.
Aber Marga bat um einen Raum, um sich etwas auszuruhen. Dort nahm sie ihre mitgebrachte Maschinenpistole und erschoss sich.

Warum sie sich erschossen hat, ist bis heute nicht wirklich geklärt.

Zum einen wäre ihr Ruf als erfolgreiche Fliegerin sicherlich zerstört gewesen, wenn sie wieder ohne Flugzeug nach Deutschland heimgekehrt wäre. Kein Hersteller hätte ihr mehr ein Flugzeug zur Verfügung gestellt, kein Sponsor sie unterstützt.

Zudem hat die Forschung 2007 herausgefunden, dass Marga von Etzdorf eine Übereinkunft mit den Nationalsozialisten eingegangen war. Diese stellten ihr über die Firma Klemm ein Flugzeug zur Verfügung und im Gegenzug sollte sie illegale Waffengeschäfte einleiten, an denen sie auch mitverdient hätte. Darum hatte sie zu Demonstrationszwecken die Maschinenpistole an Bord gehabt – zusammen mit Zubehör, Munition und Preislisten. Eigentlich war das Mitführen von Waffen beim Überfliegen von anderen Ländern verboten. Die Überflug-Genehmigungen wurde nur erteilt unter der Voraussetzung, dass keine Waffen mitgeführt wurden.

Vielleicht hat Marga von Etzdorf sich umgebracht, damit nichts über ihre illegalen Waffengeschäfte an die Öffentlichkeit gelangte. Es ist ja tatsächlich erst über 70 Jahre später öffentlich bekannt geworden.

Ihre Leiche wurde damals einbalsamiert und nach Deutschland zurückgebracht, wo Marga von Etzdorf von den Nationalsozialisten als Fliegerheldin gefeiert wurde.

Aufbahrung in Hamburg – die SS hält eine Ehrenwache ab

Nach der feierlichen Aufbahrung in Hamburg wurde sie auf dem Invalidenfriedhof in Berlin beigesetzt. Bei den Beisetzungsfeierlichkeiten war viel SS und SA anwesend.

Ihr Grabstein trägt die von ihr selbst gewählte Aufschrift: „Der Flug ist das Leben wert“. Er war durch die Ausweitung der Sperranlagen an der Berliner Mauer in den siebziger Jahren zerstört, aber 2003 wieder rekonstruiert worden.

Elisabeth Skrzypek

Grabstein auf dem Invalidenfriedhof

Literatur

  • Marga von Etzdorf: Kiek in die Welt. Als deutsche Fliegerin über drei Erdteilen, Berlin 1931 (Autobiografie)
  • Uwe Timm, Halbschatten, Köln 2008 (Roman über ihr Leben)

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Katharina Ernst – die neue Leiterin des Stuttgarter Stadtarchivs

Dr. Katharina Ernst

Seit dem ersten Oktober ist Dr. Katharina Ernst Leiterin des Stadtarchivs Stuttgart, und sie ist damit die erste Frau auf diesem Posten.

Ich kenne Katharina vom Bachchor, wo wir gemeinsam gesungen haben und sie immer diejenige im Sopran war, die auch die höchsten Töne sauber traf.

Ich habe mich sehr gefreut, dass sie sich zu einem Interview bereit erklärt hat.

Die Faszination der Archivarbeit

Stadtarchiv Stuttgart

Katharina Ernst arbeitet schon seit 2002 beim Stadtarchiv Stuttgart, zuvor war sie am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Heidelberg, am Landesarchiv Baden-Württemberg und in der Archivschule Marburg tätig. Sie hat also die Archivarbeit gründlich kennen- und lieben gelernt. „Ich glaube, dass das vielen Kollegen und Kolleginnen so geht. Der Anfang der Archivarbeit ist die Faszination eines Originals. Wenn du was in der Hand hast, von dem du weißt, dass das die Frau, über die du arbeitest, selber geschrieben hat, das ist schon faszinierend. Insbesondere wenn es mehrere hundert Jahre alt ist.“

Handschrift

In ihrer alltäglichen Arbeit spielen die alten Archivalien nicht mehr die große Rolle, die sie bei der Arbeit an ihrer Dissertation gespielt haben. Aber diese Faszination ist bei vielen der Motor, im Archiv arbeiten zu wollen.

ArchivarInnen müssen wegschmeißen können

Die Arbeit im Archiv besteht zum großen Teil in der Überlieferungsbildung. Das heißt, es wird all das gesammelt, von dem man annimmt, dass dies in 50 oder 100 Jahren im Archiv nachgefragt wird. Was werden Menschen über die Geschichte in Stuttgart in vielen Jahren wissen wollen? Was werden sie forschen wollen? Dazu gehören amtliche und nichtamtliche Quellen. Es geht auch darum auszusortieren, was das Archiv von dem, was es angeboten bekommt, behalten will. „Archivare und Archivarinnen müssen wegwerfen können. Das ist eine ganz wichtige Eigenschaft. Es ist gar nicht möglich, alles zu übernehmen und zu erhalten, was an Unterlagen entsteht.“

Regale im Stadtarchiv

Wie funktioniert nun diese Beurteilung der Unterlagen konkret? Was behält das Archiv, was nicht? „Ich schaue auf die Dinge mit der Frage: Was können Leute, die sich für Geschichte interessieren, Historikerinnen und Historiker, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche, da raus ziehen? Sind das potenzielle Quellen? Ich öffne sozusagen eine Kiste und frage: Ist da ein Gold-Nugget drin? Natürlich ist oft keins drin und das kommt dann weg. Aber dann finde ich wieder welche. Das ist einfach total spannend.“

Bewahrt wird das Typische und das Besondere

Das Stadtarchiv will zum einen von jedem einzelnen Einwohner Stuttgarts etwas haben, zum Beispiel durch die Unterlagen des Einwohnermeldeamts oder die Adressbücher. „Wir versuchen das Typische und das Besondere aufzubewahren. Also die Personen, die herausragend wichtig sind für die Stuttgarter Geschichte und gleichzeitig auch die Personen, die exemplarisch sind für die Alltagsgeschichte. Wir wissen ja nicht, was die Leute in 100 Jahren fragen werden.“ Vor 100 Jahren hätte man sich zum Beispiel nicht vorgestellt, dass ein Historiker Fragen zur Frauengeschichte stellt – wie ich sie oft stelle. Deswegen muss sich das Archiv breit aufstellen, um für Fragen in der Zukunft gewappnet zu sein.

Daher geht das Archiv auch aktiv auf Menschen und Organisationen zu. So hätte das Archiv auch gerne Unterlagen vom ganz normalen Leben in Stuttgart. Im Rahmen eines Projekts, das Jürgen Lotterer durchführte, wurden migrantische Vereine angeschrieben, um auch das Leben von MigrantInnen in Stuttgart abbilden zu können. Aber solchen Projekten sind personelle Grenzen gesetzt.

Studienorte mit großen Bibliotheken

Universitätsbibliothek Heidelberg

Katharina Ernst hat Geschichte, Philosophie und Anglistik in Heidelberg und Edinburgh studiert. Beides wunderschöne Städte mit großen Bibliotheken, was für sie bei der Wahl des Studienortes schon eine große Rolle spielte. Im Rahmen ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit Selbstzeugnissen württembergischer Pietisten in der Frühen Neuzeit. Das bedeutete viel Arbeit in Handschriftenabteilungen, in Archiven.

Nun ist sie Leiterin des Stuttgarter Stadtarchivs und möchte das Archiv bekannter machen und vielleicht die eine oder andere Hemmschwelle abbauen.

Das Stadtarchiv ist für alle Menschen offen

„Was ist das Archiv und was soll das Archiv sein? Wir sind ein Ort und ein Partner für alle, die sich für die Geschichte Stuttgarts interessieren. Menschen, die wissenschaftlich forschen, und Menschen, die aus einem persönlichen Interesse heraus forschen. Mit jedem Hintergrund, mit jeder Fragestellung. Wenn sich jemand für Geschichte interessiert, dann ist mein Wunsch, dass diese Person ans Archiv denkt und sagt: ‚Da kann ich mich informieren, dort werde ich unterstützt. Da gibt es Leute, die zeigen mir, welche Quellen ich nutzen kann.‘“

Der Blog des Stadtarchivs

Lesesaal im Stadtarchiv

Erste Schritte in diese Richtung sind schon in den letzten Jahren gemacht worden. So hat das Archiv einen wirklich lesenswerten Blog eingerichtet, in dem verschiedene Quellen beschrieben werden, auf Veranstaltungen hingewiesen wird. „Wir haben beispielsweise zur Familienforschung mehrere Artikel, die einfach erklären: Was gibt’s da für Unterlagen im Stadtarchiv. Als einfacher Einstieg in verschiedene Themen des Stadtarchivs ist der Blog wahrscheinlich die beste Adresse.“

Zugefrorener Neckar 1927 (Blog)

Der Blog bietet zudem interessante lesenswerte Geschichten aus Stuttgart, beispielsweise über den strengen Winter 1927/28, als der Neckar zugefroren war. Es gibt einen Beitrag über die Geschichte des Metropol-Kinos und einen Film über die Meisterschaftsfeierlichkeiten des VfB 1984.

Stadtlexikon für den Grimme Online Award vorgeschlagen

Ein anderes Instrument, mit dem man bequem von zuhause aus in der Stuttgarter Stadtgeschichte forschen kann, ist das Stadtlexikon, in dem Aufsätze zu wichtigen Stuttgarter Persönlichkeiten, Ereignissen und Orten gesammelt werden. Diese werden auf historischen Karten verortet. Auf den Karten aus verschiedenen Jahren finde ich die alten und neuen Straßennamen, dort erkenne ich, wann Häuser ungefähr gebaut wurden, wie Straßenzüge verlegt wurden. Dieses Stadtlexikon war 2019 für den Grimme Online Award 2019 nominiert.

Cannstatt 1823, Karte (Stadtlexikon)

Angeboten werden außerdem Einführungskurse in Zusammenarbeit mit der Universität, den Schulen und der Volkshochschule (Familienkunde). Auch ich habe vor einigen Jahren ein Projekt über die Stuttgarter Gemeinderätinnen der Nachkriegszeit gemacht mit dem Ziel, Frauen aus der Frauenakademie das Archiv näherzubringen. Ergebnis des Projekts war eine Ausstellung und eine Broschüre über die Trümmerfrauen der Kommunalpolitik. Frauen im Stuttgarter Gemeinderat 1945 bis 1969.

Dieser gesamte Ansatz soll weiter ausgebaut werden. Wie kann man Menschen in Stuttgart auf das Stadtarchiv aufmerksam machen? Wie kann man Menschen die Hemmschwelle nehmen? „Ich bin sicher, da kann man noch was machen. Besser informieren, anders informieren. Mal schauen, ob wir andere Angebote machen können. Vielleicht was ausprobieren.“

Broschüre Trümmerfrauen der Kommunalpolitik

Abbau von Hemmschwellen

Und dann soll die Arbeit im Archiv erleichtert werden. Wie können Menschen, die den Weg zum Archiv gefunden haben, noch besser unterstützt werden? Da bietet das Stadtarchiv bereits jetzt Beratung an. Angedacht ist zudem eine offene Sprechstunde: „Wo man gemeinsam überlegen könnte, was sind die Recherchewege für bestimmte Fragestellungen.“

Die Schwierigkeit ist, dass das Archiv seine Bestände danach sortiert, wo sie herkommen, nach ihrer Provenienz. Der Nutzer, die Nutzerin sucht aber etwas zu einem bestimmten Thema. Vielleicht sucht sie dann im Findbuch, das online verfügbar ist, findet nichts, ist enttäuscht und gibt auf. „Es kann aber sein, dass es trotzdem Material zu dem gesuchten Thema gibt. Da sollte man vor Ort fragen. Zu dem Problem, dass jemand aufgibt, ohne Kontakt mit dem Archiv aufgenommen zu haben, dafür habe ich bislang keine Lösung. Das halte ich für eines der dringendsten Probleme. Ich möchte jeden und jede auffordern, im Stadtarchiv nachzufragen, den Kontakt aufzunehmen.“ Denn die MitarbeiterInnen wissen aufgrund ihrer Erfahrung, in welchen Beständen vielleicht weitere Quellen zu finden sind. Und sie können auch darüber informieren, an welche Archive man sich zusätzlich wenden kann, welche Archive eventuell mehr Informationen zu meinem Thema haben.

Es gibt immer mehr Frauen im Archivwesen, auch in leitenden Postionen

Katharina Ernst ist in den letzten Jahren viel unterwegs gewesen und hat sich mit anderen ArchivmitarbeiterInnen ausgetauscht. „Das Archivwesen ist insgesamt nicht so groß. Da kennt man sich. Sei es, dass man auf dem Deutschen Archivtag ist oder in der Bundeskonferenz der Kommunalarchive oder beim Städtetag.“ Auf meine Frage, ob es im Archivwesen viele Frauen, auch in leitenden Positionen gibt, meint sie: „Inzwischen ja. Aber früher war das im höheren Dienst, im wissenschaftlichen Dienst, nicht so. Die Geschichte war ja diejenige Geisteswissenschaft, in der die wenigsten Frauen tätig sind. Und im Archivwesen waren es nochmal weniger Frauen. Aber das hat sich inzwischen geändert. Inzwischen gibt es viele Frauen, auch in leitenden Positionen.“

Münster in Westfalen 1570

Grabkapelle auf dem Württemberg

Katharina Ernst ist in Münster in Westfalen aufgewachsen und da interessiert mich natürlich auch, wie es ihr im Schwabenland, in Cannstatt gefällt. „Ich lebe total gerne hier. Es ist hügeliger als in Münster, wo es sehr flach ist. Früher hätte ich gesagt: Es ist wärmer, das ist schön. Mittlerweile weiß man nicht mehr genau, ob das nicht schon zu viel des Guten ist. Ich lebe auch gerne in einer Weinbaugegend. Gerade hier in Cannstatt ist man nah am Neckar, schnell im Kurpark, im Rosensteinpark und im Weinberg. Man kann zu Fuß zur Grabkapelle laufen.“

Viele Menschen machen hier ihre Arbeit sehr gut

Und zu den Menschen, die hier leben, meint sie: „Es gibt hier ganz viele Menschen, die ich total bewundere. Die machen einfach ihre Arbeit, ganz gewissenhaft und engagiert und sehr sehr gut. Aber ganz ohne Angeben, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Insgesamt könnten wir – glaube ich – in unserer Gesellschaft mehr davon brauchen.“

Und dann unterhalten wir uns noch über unser gemeinsames Hobby: das Singen. „Das Singen ist für mich viel mehr als nur ein Ausgleich zur Arbeit. Ich hab das so dermaßen in der Coronazeit vermisst. Ich brauche das natürlich nicht wie die Luft zum Atmen, aber es fehlte unglaublich.“

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Katharina Ernst: Krankheit und Heiligung. Die medikale Kultur württembergischer Pietisten im 18. Jahrhundert, Stuttgart 2003
  • Stadtarchiv Stuttgart (Hg.): Trümmerfrauen der Kommunalpolitik. Frauen im Stuttgarter Gemeinderat 1945 bis 1960, Stuttgart 2012

Bildnachweise

  • Katharina Enst:
    Stadtarchiv Stuttgart, Foto: Andreas Langen (die arge lola)
  • Stadtarchiv Stuttgart:
    Stadtarchiv Stuttgart, Foto: Olaf Mahlstedt
  • Handschrift:
    Stadtarchiv Stuttgart, Foto: Susanne Kern
  • Regale im Stadtarchiv:
    Stadtarchiv Stuttgart, Foto: Franziska Kraufmann
  • Universitätsbibliothek Heidelberg:
    Stateofthings.Original uploader was Stateofthings at de.wikipedia, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14771843
  • Lesesaal im Stadtarchiv:
    Stadtarchiv Stuttgart, Foto: Susanne Kern
  • Zugefrorener Neckar im Blog:
    Stadtarchiv Stuttgart 9200 Fotosammlung F 10824
  • Karte Cannstatt von 1823:
    Stadtarchiv Stuttgart 9350 Karten und Pläne 2040
    Freie Lizenz, Rechte: CC BY-SA 3.0 DE
  • Broschüre Trümmerfrauen:
    Nika Schmalz (fotonika)
  • Münster in Westfalen 1570:
    Von Georg Braun & Franz Hogenberg – Uploaded by Immanuel Giel 14:49, 3 January 2006 (UTC), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=493675
  • Grabkapelle auf dem Württemberg:
    Von Galgenberger – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35553769

Wie ich durch das Stadtarchiv die Fotografin Alma von der Trappen näher kennenlernte

Dieser Text erzählt von einer Stuttgarterin und von einer Stuttgarter Institution, die sich in Cannstatt befindet. Das Stuttgarter Stadtarchiv hat mir geholfen, mehr über die Fotografin Alma von der Trappen herauszufinden.

Alma von der Trappen, die erste Berufsfotografin von Württemberg?

Stadtarchiv Stuttgart, Bellingweg

Es fing damit an, dass mich ein Kollege aus Tübingen fragte: Kennst du Alma von der Trappen, geborene Münnich? Hast Du mal von ihr gehört? Sie war wahrscheinlich die erste Berufsfotografin in Württemberg. Könntest Du mal im Stadtarchiv Stuttgart nach ihr suchen?

Ich kannte sie nicht, aber natürlich war da mein Interesse erwacht. Ich dachte sofort an das Buch „Die Fotografin“ von Petra Durst-Benning. Aber diese Alma war keine Wanderfotografin, sondern hatte ein eigenes Atelier in der Königstraße in Stuttgart! 1880 hatte sie dieses von der Witwe des Fotografen Johann Bleibel gekauft, das hatte mir mein Kollege erzählt.

Namensschild von Alma von der Trappen auf der Rückseite einer Fotografie

Alma war bereits in jungen Jahren Witwe geworden. Bekannt ist ihr Sohn Arthur von der Trappen, der später ebenfalls Fotograf wurde. Über ihn gibt es einen Wikipedia-Eintrag. Das war es, was ich zunächst wusste. Aber ich wollte mehr wissen.

Spannende Suche in alten Adressbüchern

Zunächst habe ich mir die alten Adressbücher von Stuttgart vorgenommen, die vom Stadtarchiv digitalisiert wurden und über die Landesbibliothek einsehbar sind.

Der Pianist Wilhelm Krüger zwischen 1880 und 1883
(Alma von der Trappen)

Nun denkt man, was soll man durch solche Adressbücher herausbekommen? Manchmal sehr viel.
Ich habe nach „von der Trappen“ und „Münnich“ gesucht. Wenn Alma oder ihr Mann aus Stuttgart stammten, müssten ihre Namen in den Jahren vor 1880 auftauchen. Aber beide waren nicht zu finden. Sie stammten also nicht aus Stuttgart.
Erst 1880 taucht der Name Alma von der Trappen auf: als Nachfolgerin der „Photographischen Anstalt“ von Johann Bleibel. Dieser hatte das Atelier zunächst in der Rotebühlstraße gegründet, war dann aber 1878 in die Königstraße 27 umgezogen. Dies Haus stand an der Stelle, wo sich heute Primark befindet. Ein Jahr später 1880 starb Johann Bleibel und Alma von der Trappen übernahm das Atelier im dritten und vierten Stock.
Wahrscheinlich befand sich auf einer Etage das Atelier, auf der anderen die Wohnung. 1880 wird Alma von der Trappen im Adressbuch als Kaufmannswitwe bezeichnet. Außerdem wird eine Wilhelmine Münnich genannt, eine Sekretärswitwe, die ebenfalls dort wohnte. Wie ich später herausbekam, war das die Mutter von Alma, die ihr vielleicht den Haushalt führte, während Alma im Atelier arbeitete.

Photographische Anstalt in der Königstraße

Stehendes Mädchen im dunklen Kleid mit Kreuz
(Alma von der Trappen)

1893 verschwindet der Name von der Trappen wieder aus den Stuttgarter Adressbüchern, das Atelier wird von Johannes Jäger übernommen.
Erst 1900 taucht der Name von der Trappen wieder auf. Alma von der Trappen führte nun zusammen mit ihrem Sohn Arthur ein „Photographisches Atelier“ zunächst in der Lichtensteinstraße, dann in der Lehmgrubenstraße in Stuttgart-Ost. Dies nannte sich ab 1913 „Photographisches Institut für wissenschaftliche Photographie“. Ab 1925 wird hier nur noch Arthur genannt.

Man kann also schon so einiges alleine mit einem Blick in die alten Stuttgarter Adressbücher herausbekommen.

Es stellten sich aber weitere Fragen:

  1. Woher kam Alma von der Trappen?
  2. Wer war ihr Mann?
  3. Wie konnte sie das Atelier übernehmen? Wo hat sie ihre Ausbildung gemacht?
  4. Wo lebte Alma von der Trappen zwischen 1893 und 1900?

Ich habe mich zunächst der letzten Frage zugewandt.

Wo lebte Alma von der Trappen von 1893 bis 1900?

Eine Idee von mir war, dass Alma vielleicht vor der Übernahme des Stuttgarter Ateliers in Cannstatt gelebt hatte. Cannstatt war zu der Zeit eine aufstrebende Bäder- und Industriestadt, in der viele wohlhabende Menschen wohnten. Es gab viele Kurgäste. Meine Überlegung war, dass sich hier sicherlich ein Fotoatelier gelohnt hätte. Nun wurde Cannstatt erst 1905 mit Stuttgart vereinigt, daher hatte Cannstatt bis dahin ein eigenes Adressbuch, das leider noch nicht digitalisiert ist. In der Landesbibliothek fand ich ein Cannstatter Adressbuch. Aber welche Enttäuschung! Es fand sich leider kein Eintrag für Alma von der Trappen. Schade! Keine Cannstatterin!

Ein Anruf beim Stadtarchiv Stuttgart, das zu der Zeit corona-bedingt für den Publikumsverkehr geschlossen hatte, brachte mir die Auskunft, dass in der Sterbeurkunde von Alma von der Trappen (9. April 1923) vermerkt wurde, dass sie am 26. Januar 1849 in Braunschweig geboren worden war und dass sie mit dem Grafen Ludwig von der Trappen verheitatet gewesen war.

Ich stellte im Stadtarchiv darüber hinaus einen Antrag auf den Auszug aus dem Familienregister, ich wollte mehr wissen.

Während ich auf den Auszug wartete, nahm ich mir die Braunschweiger Adressbücher vor, die ebenfalls digital verfügbar sind. Vielleicht war Alma von der Trappen ja in der Zeit zwischen 1893 und 1900 zurück nach Braunschweig gegangen?

Ich wurde tatsächlich fündig!

Student Emil Barth
(Alma von der Trappen, Braunschweig)

Ein Braunschweiger Intermezzo

Alma betrieb von 1894 bis 1896 ein „Photographisches Atelier“ in Braunschweig. Sie war also zurück in ihre Geburtsstadt gegangen und hatte auch dort als Fotografin gearbeitet. Damit war also die letzte Frage schon mal geklärt.

Bleibt noch die Frage: warum?

Nun galt es, mehr über ihre Eltern heraus zu bekommen. Ich suchte nach Antworten auf die erste Frage: Woher stammte Alma von der Trappen?

Dafür habe ich die früheren Jahrgänge des Braunschweiger Adressbuchs durchsucht. 1849 lebte in Braunschweig ein August Münnich, der Registrator bei der „Herzoglichen Oeconomie-Commission“ war. Ab 1873 wird nur noch Wilhelmine Münnich genannt, „Witwe des Landes Oeconomie Secretaire“. Das waren also die Eltern. Der Vater ein höherer Beamter, der wahrscheinlich 1872 starb, und ihre Mutter Wilhelmine Münnich, die nach dem Tod des Vaters mit nach Stuttgart kam und Alma im Haushalt half.

Wer war ihr Mann Ludwig von der Trappen?

Junge Frau in dunklem geschlossenen Kleid
(Alma von der Trappen)

Aber wen hatte Alma geheiratet? Wer war Ludwig von der Trappen, der laut Sterbeurkunde zuletzt in Wesel wohnhaft gewesen war? Mein Kollege rief im Stadtarchiv von Wesel an und erhielt interessante Auskünfte. Ludwig von der Trappen war in Wesel am Niederrhein geboren, wo er Teilhaber der Spedition der Köln-Düsseldorfer Dampfschifffahrtsgesellschaft war, die bereits seinem Vater gehört hatte. Außerdem hatte die Familie eine Versicherungsagentur.

Alma und Ludwig heirateten 1870, dabei machte sich Ludwig drei Jahre jünger. Sein Geburtsjahr stimmt auf der Heiratsurkunde nicht mit dem auf der Geburtsurkunde überein. Vielleicht machte es ihm zu schaffen, dass er fast zwanzig Jahre älter als Alma war.

Woher die beiden sich kannten, habe ich nicht herausbekommen. Sie, eine Tochter aus einer gehobenen Braunschweiger Beamtenfamilie, und er, der Sohn aus einer wahrscheinlich wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Wesel.

Mittlerweile hatte ich den Auszug aus dem Familienregister vom Stadtarchiv erhalten. Das brachte einige Überraschungen.

Alma von der Trappen hatte vier Kinder!

Mann mit Mittelscheitel
(Alma von der Trappen)

Bisher wusste ich nur von einem Sohn: Arthur von der Trappen, der ebenfalls Fotograf wurde. Aber Alma und Ludwig hatten vier Kinder, die alle in Wesel geboren wurden, wo die Familie nach der Heirat ansässig war. Arthur, der älteste, wurde 1870 geboren, war also 10 Jahre alt, als Alma das Atelier in Stuttgart übernahm. Die Tochter Alma wurde 1872 geboren. Ein zweiter Sohn starb 1874 bereits wenige Tage nach der Geburt. Die zweite Tochter Elisabeth kam 1877 auf die Welt.

Nachdem ihr Mann Ludwig 1878 in Wesel gestorben war, zog Alma also mit ihren drei Kindern nach Stuttgart und übernahm dort das Fotoatelier auf der Königstraße! Im gleichen Jahr musste sie noch den Tod der ersten Tochter Alma verkraften, die nur sieben Jahre alte geworden war.

Was für eine Geschichte!

Damit wäre also fürs erste auch die Frage nach dem Ehemann und den Kindern geklärt.

Bleibt noch die dritte Frage: Wie konnte Alma von Wesel aus dieses Atelier übernehmen, woher hatte sie die fotografischen Kenntnisse?

Männliches Baby
(Alma von der Trappen)

Das Geld dafür hatte sie vielleicht von ihrem Mann geerbt. Vielleicht konnte sie nach dessen Tod endlich ihren Herzenswunsch, Fotografin zu werden, verwirklichen. Vielleicht hatte sie den Fotografen Johann Seibel irgendwo kennengelernt, hatte mit ihm Kontakt gehalten?

Aber die interessanteste Frage bleibt: woher hatte sie die Kenntnisse um ein Fotoatelier betreiben zu können?

Es gibt über sie also noch so einiges zu erforschen.

Aus ihrer Zeit als Fotografin existieren noch einige Bilder. Sie war Porträtfotografin und hatte wahrscheinlich den Kundenstamm von Johann Bleibel übernommen. Man kann sich vorstellen, dass so mancher Kunde irritiert war, nun von einer Frau fotografiert zu werden. Vielleicht sprang auch der ein oder andere ab. Vielleicht gab es aber auch neue KundInnen, die es  interessant fanden, von einer Frau fotografiert zu werden.

Wie das Geschäft lief, ist mir leider nicht bekannt.

Schlossplatz Stuttgart (Arthur von der Trappen)

Arthur von der Trappen

Der Sohn Arthur wuchs mehr oder weniger im Atelier auf und lernte wahrscheinlich schon frühzeitig das Handwerk des Fotografen, auch wenn er in Braunschweig laut Adressbuch als Versicherungsagent gearbeitet hatte. Hier in Stuttgart wandte er sich dann wieder der Fotografie zu, allerdings nicht der Porträtfotografie wie seine Mutter. Arthur fotografierte Landschaften, Siedlungen, Gebäude. 1923 gab er ein Buch mit Bildern aus Schwaben heraus.

Es bleibt noch viel zu erforschen

Alma von der Trappen hatte eine interessante Lebensgeschichte. Das erschließt sich bereits aus den noch recht wenigen Fakten, die bisher über sie bekannt sind.

Wer weiß, vielleicht findet noch jemand mehr über sie heraus: Wo hat sie das Handwerk des Fotografierens und Entwickelns gelernt? Wie lief ihr Geschäft in der Königstraße? Warum verließ sie Stuttgart für ein paar Jahre? Und warum kehrte sie wieder zurück?

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Arthur von der Trappen: Siebzig Bilder aus Schwaben. Landschaft, Siedlung, Baudenkmäler, Tübingen 1925 (Württembergische Landesbibliothek)
  • Joachim W. Siener: Die Photographie und Stuttgart 1839–1900. Von der maskierten Schlittenfahrt zum Hof-Photographen, Edition Cantz, Stuttgart 1989, ISBN 3-89322-150-6 (Württembergische Landesbibliothek)

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