Gerlinde Beck: Die Frau, die die Haltestelle am Rotebühlplatz gestaltete

Wasserskulptur 1973, Rotebühlplatz

Wie oft bin ich schon an ihrem Werk achtlos vorbei gegangen. Die Bildhauerin Gerlinde Beck hat mit ihren Werken Spuren hinterlassen. So am Rotebühlplatz und auch in Cannstatt am Landeskriminalamt in der Taubenheimstraße.

Wer war diese Frau, die solch große Kunstwerke schuf, die uns manchmal etwas irritieren, an denen man allerdings auch manchmal – wie ich zugeben muss – achtlos vorbei geht?

Vielleicht werden wir, wenn wir diese Frau näher kennengelernt haben, diesen Kunstwerken in Zukunft mehr Beachtung schenken. Es lohnt sich.

Figur im Raum, LKA Taubenheimstraße

Mit Holz wuchs sie auf

Gerlinde Beck wurde 1930 in Cannstatt geboren. Ihr Vater, Gotthilf Übele, hatte ein Zimmerei- und Leiterngeschäft in der Kegelenstraße. Er arbeitete mit Holz, ein Material, mit dem Gerlinde also schon von klein auf vertraut war. Sie spielte damit oft in der Werkstatt.

Nach dem Bombenangriff 1943, als das Geschäft vollständig abgebrannt war, sah der Vater sein Lebenswerk vernichtet und beging Selbstmord. Eine Katastrophe für die Familie. Die Mutter zog mit den Kindern auf die andere Neckarseite in die Brückenstraße.

Parallel zur Schule absolvierte Gerlinde nach dem Krieg ein Praktikum in einer Holzschnitzer-Werkstatt in Cannstatt. Sie blieb also zunächst dem Material Holz treu.
Sie war begierig, die Welt, die Kunst kennen zu lernen. So sah sie erste Ausstellungen der Expressionisten, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verboten gewesen waren. Sie lernte die Werke der KünstlerInnen Ida Kerkovius, Max Ackermann, Fritz Winter und Willi Baumeister kennen.
Und in dieser Zeit lernte sie auch den Musikstudenten Hans-Peter Beck kennen, den sie 1955 heiratete.

Ausbildung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste

Gerlinde verließ vorzeitig die Schule und konzentrierte sich auf ihre künstlerische Ausbildung. So bewarb sie sich erfolgreich an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Zuvor hatte sie Abendkurse bei den Professoren Hugo Peter und Albrecht Appelhans besucht. In der Bildhauerklasse an der Akademie erhielt sie eine gute grundlegende technische Ausbildung.

Henry Moore: Mother and Child

Nach einer Studienreise nach Paris war sie insbesondere von den Werken von Henry Moore sehr beeindruckt. Auch wenn sie später immer abstrakter arbeitete, so blieb doch die menschliche Gestalt ihr Thema.
Auch Oskar Schlemmer, der in Cannstatt an den Figurinen des Triadischen Balletts gearbeitet hatte, wurde ihr Vorbild. Ganz wichtig wurde für sie der Kontakt zu Willi Baumeister, der ihr immer wieder weiter half, wenn sie Fragen hatte.

Feinblechnerlehre in Feuerbach

Nach der Akademie absolvierte sie eine Feinblechnerlehre in der Süddeutschen Kühlerfabrik Behr in Feuerbach, wo sich auch ihr erstes Atelier befand. Chromstahl wurde nun ihr neues Material.
Weil Gerlinde Beck neben ihrer künstlerischen Ausbildung auch eine solide handwerkliche Ausbildung hatte, konnte sie ihre Arbeiten vollständig selbständig produzieren: die Zeichnungen, die Berechnungen, den Aufriss, das Modell und dann auch die finale Herstellung an der Werkbank.

Frühe künstlerische Anerkennung

Schon in den frühen 1960er Jahren hatte Gerlinde Beck erste Ausstellungen. Aber zunächst nicht in Stuttgart. Die Galerie Parnass in Wuppertal erkannte ihren künstlerischen Wert und verkaufte ihre Werke.
Gerlinde Beck erhielt in dieser Zeit auch erste Preise: So gewann sie 1961 den österreichischen Hugo-von-Montfort-Preis, 1962 den 2. Preis beim Ille Grand Prix International de Sculpture in Monaco und 1967 den Kunstpreis der Böttcherstraße in Bremen.
1965 zeigte sie zum ersten Mal Arbeiten in Stuttgart, und zwar in der Cannstatter Galerie am Jakobsbrunnen, der heutigen Galerie Widmann. Ihre Skulpturen waren damals noch deutlich kleiner.

Ende der 1960er Jahre entstanden ihre ersten „Röhrenplastiken“.

Tor des Vertrauens, Mühlacker, 1974/76

Große Röhrenplastiken

Den künstlerischen Durchbruch hatte Gerlinde Beck 1968 mit einer Werkschau in der Kunsthalle Mannheim und einer großen Einzelausstellung im Lehmbruck-Museum in Duisburg, einem der führenden Museen für internationale Skulpturen des 20. Jahrhunderts.
Nun kaufte die öffentliche Hand ihre Werke und erteilte auch Aufträge. In Leonberg entstand 1973 die große Plastik Symbol der Freundschaft.

Symbol der Freundschaft, Leonberg 1973

Auf den ersten Blick lassen uns ihre Werke etwas ratlos davor stehen. Was sollen denn diese Röhren? Aber schon der Name verrät: Es geht um Freundschaft, auch um menschliche Gefühle. Auch wenn ihre Plastiken gegenstandslos aussehen, so hat sie sie doch aus der menschlichen Figur heraus entwickelt. Und wenn man sie länger betrachtet, dann „versteht“ man sie auch.

Immer wieder stellte Gerlinde Beck ihre eigenen Werke in Frage, entwickelte sich weiter, beschritt neue Wege. 1972 begann sie mit der Arbeit an einer Klangstraße, bei der die Klänge ihrer metallenen Figuren für eine Komposition genutzt wurden. Hier war eine Kooperation mit ihrem Ehemann, dem Musiker Hans-Peter Beck, möglich. 1985 wurde eine Schallplatte mit Kompositionen für diese Klangstraße aufgenommen.

Mit den Arbeiten an der Wasserskulptur für die U-Bahn-Haltestelle Rotebühlplatz begann Gerlinde Beck 1979. Die Haltestelle wurde 1983 in Betrieb genommen. Heute nach 40 Jahren sieht die Skulptur etwas verwittert aus.

Aktives Mitglied in Organisationen von KünstlerInnen

Gerlinde Beck war Mitglied im baden-württembergischen und im deutschen KünstlerInnenbund. In beiden arbeitete sie auch im Vorstand mit. Auch in der GEDOK, die das Haus in der Hölderlinstraße betreibt, war sie Mitglied.

Für ihre Kunst, aber auch für ihr Engagement wurde sie zunächst mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande, 2001 dann mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.

Hommage an Dore Hoyer

1996 gründete sie die Gerlinde-Beck-Stiftung, die zum einen das Ziel hat, ihr Werk zu erhalten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zum anderen sollen junge KünstlerInnen gefördert werden.

2004 erkrankte Gerlinde Beck schwer. Aber sie gestaltete ein Jahr später noch ihre letzte große Plastik Hommage an Dore Hoyer, eine Ausdruckstänzerin, die sie schon 1945 mit ihrem Drehtanz schwer beeindruckt hatte.

Gerlinde Beck starb am 19. Februar 2006.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Christiane Dressler: Gerlinde Beck, geb. Übele. Bildhauerin am Schweißgerät, Raumchoreografin, in: Pro Alt-Cannstatt (Hg.): „Und die Frauen?“ – Cannstatter Frauengeschichte(n) aus zehn Jahrhunderten, Ludwigsburg 2021, S. 294 – 299
  • Gerlinde Beck. Skulpturen, Handzeichnungen, Collagen, Druckgrafik, Galerie Schlichtenmaier Schloss Dätzingen 1995

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Bildnachweise

Die Architektin des GEDOK-Hauses: Grit Bauer-Revellio

Die 30-jährige Grit Bauer war die Architektin des bekannten GEDOK-Hauses in der Hölderlinstraße in Stuttgart. Das erste Haus in Deutschland, das nur für Künstlerinnen gebaut wurde. Aber es blieb mehr oder weniger das einzige Haus der begabten Architektin. Sie heiratete und bekam drei Kinder.

GEDOK-Haus, Nordseite

Grit Bauer wurde in Cannstatt geboren

Grit Bauer wurde 1924 in Cannstatt geboren, so liest man es überall. Mir ist allerdings nicht klar, warum sie in Cannstatt und nicht in Stuttgart geboren wurde, wo ihre Eltern damals lebten. Aufgewachsen ist sie auf jeden Fall in Stuttgart, in der Villa ihrer Eltern. Ihr Vater Ludwig Bauer war ein bekannter Bauunternehmer, der an vielen Bauprojekten der damaligen Zeit beteiligt war. Er baute an den Autobahnen für Hitler, aber auch für Paul Bonatz. Dieser entwarf dann für die Familie von Ludwig Bauer 1928 eine repräsentative Villa auf der Uhlandshöhe.

Der Vater Ludwig Bauer war ein bekannter Bauunternehmer

Drei der vier Kinder der Familie sollten im Bereich des Bauwesens tätig sein. Der ältere Bruder studierte Bauingenieurswesen, der jüngere sollte Architektur studieren, starb aber im Zweiten Weltkrieg. Grit übernahm nun seine Rolle und studierte Architektur. Eigentlich war für sie die Innenarchitektur vorgesehen, damit sie dem jüngeren Bruder, dem Architekten, zuarbeiten konnte.
Die Schwester fiel etwas aus der Art und wurde Journalistin.

GEDOK-Haus, Südseite

Studium am Fachbereich Bauwesen an der TH Stuttgart

Nach dem Abitur am Katharinenstift absolvierte Grit eine Maurer- und Zimmererlehre in Innsbruck, anschließend schrieb sie sich 1942 für den Fachbereich Bauwesen an der TH Stuttgart ein. Es war Krieg und so gab es nicht viele Studierende. Die Frauen, wurden nicht wirklich ernst genommen. Wegen des Krieges musste Grit dann das Studium unterbrechen und konnte erst im WS 1945 weiterstudieren. Dass die Stuttgarter Architekturschule damals sehr technisch orientiert war, störte Grit nicht. Ihr war das Bauingenieurswesen von der heimischen Firma her vertraut.
1949 legte sie ihr Diplom bei dem weltoffenen Gebäudelehrer Rolf Gutbrod ab.
Anschließend arbeitete sie als selbständige Architektin, als selbständige Mitarbeiterin in verschiedenen Büros in Stuttgart. Sie wollte nicht in der Firma des Vaters einsteigen.

Ausschreibung für ein Atelier- und Wohnhaus für Künstlerinnen gewonnen

1952 gab es in Stuttgart eine Ausschreibung, ausdrücklich nur für Architektinnen. Die GEDOK (Gesellschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnen) wollte auf einem ehemaligen Trümmergrundstück in der Hölderlinstraße ein Wohn- und Atelierhaus für Künstlerinnen bauen. Grit Bauer nahm als selbständige Architektin teil und gewann mit ihrem sehr offenen und modernen Entwurf den Wettbewerb. Die Jury war hochkarätig mit Männern besetzt und Grit Bauer erhielt den Zuschlag nicht wegen ihres bekannten Vaters, sondern weil ihr Entwurf etwas Neues versprach: mit einer Bauweise, die ans Bauhaus angelehnt war. Für das Hanggrundstück entwarf Grit Bauer ein fünfstöckiges Haus mit ursprünglich 17 Ein-Raum-Ateliers und 7 Zwei-Raum-Ateliers. Ateliers, in denen die Künstlerinnen auch wohnen konnten. Mit dem gemeinschaftlichen Bad und der Küche auf dem Flur entsprach das Ganze eher einem Wohnheim. Grit Bauer-Revellio gelang es wohl, die Fläche und auch die finanziellen Mittel, die zur Verfügung standen, optimal zu nutzen.

Terasse

Eine moderne, funktionale, offene Architektur, angelehnt ans Bauhaus

Das Haus, das heute noch von Künstlerinnen genutzt wird, hat zwei sehr unterschiedliche Seiten. Zur Straße hin, gen Norden, wirkt es eher kompakt und zur südlichen Seite sehr transparent. Die Räume auf der nördlichen Seite sind für die Malerateliers vorgesehen, in denen das Sonnenlicht eher stören würde. Auf der Südseite mit ihren Balkonen sind die anderen Arbeitsräume und auch die Wohnräume untergebracht. Für die Bildhauerinnen gibt es Ateliers, die vier Meter hoch sind und einen Zugang zum Garten haben.

Obwohl die GEDOK sich selber aufs Programm geschrieben hatte, Frauen zu fördern, traute sie der jungen, weiblichen Architektin die Durchführung des Baus nicht wirklich zu. Immer wieder forderten sie, dass ihre Pläne auch von einem Mann begutachtet werden. Grit Bauer musste sogar dafür kämpfen, dass sie den Bau selber durchführen durfte. Und auch auf der Baustelle musste sie darum ringen, dass sie als Chefin anerkannt wurde. Um das zu erleichtern stellte sie einen (männlichen!) Bauleiter ein.

1955 wurde das GEDOK-Haus eingeweiht und zählt seitdem zu den anerkannt wegweisenden Architekturen. 1959 wurde es mit dem Paul-Bonatz-Preis ausgezeichnet. Seit 1992 ist es ein eingetragenes Kulturgut und wurde 2000 behutsam saniert.

Eva Zippel

Genossenschaftliche Finanzierung

Das GEDOK-Haus wurde genossenschaftlich finanziert. Jede der zukünftigen Bewohnerinnen musste sich finanziell beteiligen. Auch nach ihrem Einzug mussten sie sich weiterhin in der Gemeinschaft engagieren.

Eva Zippel, eine Bildhauerin und eine der Frauen, die von Beginn an im GEDOK-Haus wohnten, erzählt, dass sie 4000 DM, die sie bei einem Wettbewerb erhalten hatte, für ihr lebenslanges Wohnrecht eingezahlt hatte. Darüber hinaus musste sie, zumindest in jungen Jahren viel Engagement einbringen: „Ich hab von der Putzfrau bis zur Ersten Vorsitzenden alles gemacht!“

Eva Zippel: Keimling, Bronze, 21x12x9, 1969

Es gab Ausstellungen und Veranstaltungen, bei denen sich die Bewohnerinnen beteiligen mussten. In den ersten Jahren gab es in Stuttgart noch nicht viele Galerien, da stellte das GEDOK-Haus eine der größten und schönsten Galerien dar. Viele Künstlerinnen wollten dort ausstellen. Das hat sich im Laufe der Jahre verändert. Aber Ausstellungen gibt es bis heute im Haus.

Eva Zippel lebte von 1954 bis zu ihrem Tod 2013 im GEDOK-Haus.

Grit Bauer-Revellio heiratet und wird Familienfrau

Die Karriere der jungen begabten Architektin Grit Bauer ging nach dem Bau des GEDOK-Hauses nicht weiter. Sie heiratete Friedrich Revellio und bekam drei Kinder. Dies Haus blieb ihr einziges großes Projekt. Mit ihrem Mann zusammen verwirklichte sie noch das ein oder andere Projekt, aber immer übernahm ihr Mann die Führung.

Gartenhaus, Südseite

So entwarf sie 1958 zusammen mit ihrem Mann das Gartenhaus in der Seidenstraße 64, das unterhalb des GEDOK- Hauses liegt und zu diesem gehört.

Gartenhaus, zugewachsene Nordseite

Grit Bauer-Revellio starb 2013 und wurde auf dem Waldfriedhof beerdigt. Ihr Mann Friedrich Revellio starb 2021 im Alter von 98 Jahren.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Kerstin Renz: Sind die Pläne durchgesehen? Grit Bauer-Revellio und das Haus ihres Lebens, in Mary Pepchinski u.a. (Hg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren Frauen im Architekturberuf. Wasmuth, Tübingen/Berlin 2017, S. 173
  • Christiane von Seebach, Rita E. Täuber (Hg.): 50 Jahre GEDOK-Haus Stuttgart, Tübingen 2005

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