Das Esszimmer von Tante Ninni

Wer übernimmt das alte Esszimmer von Tante Ninni? Klar haben die Möbel eine lange Geschichte. Aber in mein Wohnzimmer passen sie nicht und – wenn ich ehrlich bin – kann ich mich auch gar nicht an die Möbel erinnern, als sie bei Tante Ninni standen.

Die Möbel müssen in der Guten Stube gestanden haben und da kamen wir nur rein, wenn Schützenfestsonntag war, der höchste Feiertag im Ort. Aber ich hatte damals nur Augen für das köstliche Gebäck auf der großen Kaffeetafel: Torten, Waffelröllchen mit Sahne. Lecker!
Das Beste aber war die Grillage-Torte! Damit sie nicht auftaute, durfte man sie immer erst kurz vor dem Kaffeetrinken vom Bäcker nebenan holen. Diese Torte hatte es uns Kindern besonders angetan. Einerseits weil sie aus gefrorener Sahne und Schokosplittern bestand, andererseits hörte es sich sehr „verboten“ an, wenn man den Namen genüsslich aussprach.

Schützenfest bei Tante Ninni – mit Grillagetorte

Tante Ninni, die eigentlich meine Großtante war, richtete jedes Jahr zum Schützenfest das Kaffeetrinken für die Familie aus. Sie hatte keine eigenen Kinder, aber über ihre sechs Geschwister hatte sie eine große Familie.

Der Ablauf des Festes war immer gleich. Bei der Ankunft gab es für uns Kinder zunächst das „Kirmesgeld“. Die Erwachsenen zeigten sich großzügig. Schließlich war ja nur einmal im Jahr Schützenfest! Zuerst gab es Kaffee und Kuchen. Dann kam der Schützenzug, der direkt am Haus vorbeizog: Grendadiere in Uniform, ein Holzgewehr auf der Schulter mit einer Blume im Lauf, Musikkapellen. Besonders heftiges Winken, wenn die Männer vorbeimarschierten, die zur Familie gehörten.

Anschließend ging es endlich zur Kirmes. Die Entscheidung: Kauf ich mir lieber Lose oder fahr ich mit dem Karussell? Oder doch lieber Autoselbstfahrer? Das Geld war leider schneller weg, als uns lieb war. Aber wenn wir Glück hatten, konnten wir ein kleines Andenken von der Losbude mit nach Hause nehmen.

Tante Ninni und Konrad

Dort wartete auf uns ein weiteres Highlight: Das Abendessen an der großen Tafel. Brote mit einigen Köstlichkeiten, die es bei uns zuhause nicht gab. Der Alkohol kam auf den Tisch und die Erwachsenen wurden immer lustiger. Wenn uns Kindern langweilig wurde, gingen wir in den Hof zum Spielen.
Abends fuhren wir müde, aber immer sehr zufrieden nach Hause.
Auf die Möbel, die wunderbaren Büffets und die schönen Stühle habe ich als Kind nicht geachtet.

Tante Ninni war Witwe und erst spät habe ich überhaupt etwas über ihren Mann Konrad erfahren. Er war Schneider. Tante Ninni erzählte uns, dass sie Butterbrot mit frischem Knoblauch liebte. Das war für ihren Mann ein Grund, sie aus dem Ehebett zu verbannen.

Tante Ninni kam ganz gut alleine zurecht. Sie war Schneiderin und nähte privat für viele Kundinnen. Ich kenne sie immer mit einer Nadel im Mund oder zumindest einer am Revers, vielleicht noch das Maßband um den Hals.

Ein altes Haus voller Geheimnisse – und ein Plumpsklo

Tante Ninni wohnte in einem alten Haus voller Geheimnisse. Der Hof war zu allen Seiten hin geschlossen. Links und rechts waren große Tore, sodass der Nachbar im Notfall durch den Hof fahren konnte. An einer Seite gab es ein kleines Blumenbeet, hinten einen Schuppen und das Klo. Ja, Tante Ninni hatte – zumindest die ersten Jahre – draußen noch ein Plumpsklo. Das bedeutete, dass wir abends, bevor wir ins Bett gingen, über den dunklen Hof mussten. Das bewahrte uns vor dem größeren Abenteuer, mitten in der Nacht das Plumpsklo aufsuchen zu müssen. Für Notfälle gab es einen Topf unter dem großen Ehebett, in dem wir zusammen mit Tante Ninni schliefen. Auch ein Badezimmer gab es nicht, dafür eine schöne Porzellanschüssel und eine Kanne mit Wasser. Aber meistens haben wir uns unten in der Küche gewaschen, bevor wir dann die enge und sehr steile Treppe hoch ins Schlafzimmer gingen.

Wenn wir als Kinder bei ihr zu Besuch waren, haben wir uns nie in der Guten Stube aufgehalten. Das Leben spielte sich im Nähzimmer ab: Dort stand die Nähmaschine, ein Zuschneidetisch, ein Ofen, ein Esstisch und ein Sofa. Das reichte für das alltägliche Leben. Im Flur befand sich die Küche: ein Waschbecken, ein Herd, ein Schrank. Von dort aus ging es auch in den Keller, der nur eine halbe Treppe tiefer lag. Ein Paradies aus Regalen voll eingemachter guter Sachen in Weckgläsern.

Kaffee musste bei Tante Ninni frisch gemahlen werden. Dafür klemmte sie sich die Kaffeemühle zwischen die Beine und drehte die Kurbel oben mit aller Kraft. Wir Kinder haben es auch versucht, aber nicht geschafft. Tante Ninni war einfach stärker. Wenn man die Schublade unten aufzog, entströmte ihr der herrliche Duft von frisch gemahlenem Kaffee!

Nie werde ich das Rezept für Rotkohl vergessen, das Tante Ninni einmal voller Stolz preisgegeben hat: drei Gläser Rotkohl – vom Aldi – und ein Glas Apfelkompott – auch vom Aldi. Und fertig ist der „Rude Kappes“. Als berufstätige Frau hatte Tante Ninni eben nicht viel Zeit für komplizierte Gerichte.

Später kam Tante Ninni meistens zu uns nach Hause, um für uns zu schneidern. Dann quartierte sie sich ein paar Tage ein und nähte für meine Mutter und uns Kinder Kleidungsstücke, die immer ein bisschen aus der Mode waren und die ich nicht immer geliebt habe.

Tante Ninni konnte Witze erzählen

Tante Ninni konnte sehr lustig sein, eine rheinische Frohnatur. In Stimmung kam sie, wenn die Frauen zusammenhockten und Witze erzählten. Dabei musste Tante Ninni schon beim Erzählen ihrer Witze so lachen, dass sie nicht zum Ende kam. Die „Futt“ (der verlängerte Rücken!) kam in ihren Witzen sehr häufig vor. Und dann lachte sie, bis ihr die Tränen runterkullerten.

Als sie älter wurde, hat sie nicht mehr so viel genäht, sondern Socken gestrickt. Sie muss in ihrem Leben Unmengen an Socken gestrickt haben. Regelmäßig kam Nachschub, wobei wir aber nicht die Farbe aussuchen konnten, sondern nehmen mussten, was sie gerade in unserer Größe gestrickt hatte.

Tja, und das Esszimmer, das habe ich erst bewusst wahrgenommen, als Tante Ninni aus ihrem alten Haus in eine seniorengerechte Wohnung gezogen ist. Da standen dann die großen, dunklen, schweren Möbel in ihrem kleinen Wohnzimmer. Zu groß für die Wohnung, zu groß für diese immer kleiner werdende Person.

Elisabeth Skrzypek

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