Das Elly – Von der Höheren Töchterschule zum Gymnasium

Neben dem Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium, das überall nur „das Elly“ heißt, entstand in den letzten Jahren ein Neubau, in den das Gymnasium Ende des Jahres umziehen wird. Dann wird das alte Elly abgerissen und ebenfalls durch einen Neubau ersetzt. Eine Schule im Umbau.

Das „alte“ Elly

Dies ist nicht die erste räumliche Veränderung im Laufe der langen Schulgeschichte. Offiziell wird als Gründungsdatum der Schule der 15. August 1879 genannt. An dem Tag wurde die Schule von der Stadt Cannstatt übernommen. Das ist also das Gründungsdatum der öffentlichen Schule. Aber die eigentliche Gründung der Schule war ein paar Jahre früher – und spektakulär.

Das Kleemannsche Institut von 1852

Im 19. Jahrhundert war Cannstatt ein Badeort, von weit her reisten die Menschen an, um hier das Mineralwasser und die gute Luft (!) zu genießen. Es war nicht so mondän wie Baden-Baden, eher beschaulich. Und so dachten viele, was für eine Kur gut ist, kann auch für Schulen gut sein. Daher wurden in Cannstatt einige sogenannte Institute gegründet, in denen Schüler und Schülerinnen von weit her – auch die Kinder der Kurgäste – untergebracht und unterrichtet wurden.

Eines davon war das Kleemannsche Institut für Mädchen.
Bereits 1825 hatten die Cannstatter Bürger eine Privatschule für ihre Töchter gegründet. Da sie mit den Jahren anwuchs, nahmen sie 1852 Kontakt zu Karl Kleemann auf, der bereits in Reutlingen ein Töchterinstitut betrieben hatte. Er wechselte nun nach Cannstatt und eröffnete am 1. Juli 1852 das Kleemannsche Institut für auswärtige Pensionärinnen und für die Töchter der Cannstatter Bürgersfamilien.

Kleemannsches Institut, im Hintergrund Schloss Rosenstein und der Rosensteintunnel mit der Eisenbahn

Die Schule befand sich zunächst an der Brückenstraße 2, also in der Neckarvorstadt, wo heute Rilling seinen Sekt produziert. Dort wurden nur Mädchen im Alter von 13 bis 18 Jahren unterrichtet. 1858 zog die Schule um an den Wilhelmsplatz und 1865 dorthin, wo sich heute das B & B Hotel, König-Karl-Straße 78, befindet.

Damals gab es dort noch keine König-Karls-Brücke und auch noch keine dorthin führende Straße. Es war eine Grünanlage, von der man einen herrlichen Blick über den Neckar auf Berg und auf Schloss Rosenstein hatte. Die Eisenbahn, die schon damals ziemlich nah vorbeifuhr,  wurde eher als Zeichen des Fortschritts denn als störend empfunden.

Ausschluss der Cannstatter Töchter

Bis 1871 hatten dieses Institut über 700 Schülerinnen aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Russland besucht, aber die Cannstatterinnen durften seit 1865 das Institut nicht mehr besuchen. Nachdem die Stadt Cannstatt zwei weiteren Instituten erlaubt hatte sich in Cannstatt niederzulassen, war Karl Kleemann so erbost, dass er die Töchter der Cannstatter Familien ausschloss. Dies wiederum ärgerte die Cannstatter Bürger dermaßen, dass sie angeblich sogar die Scheiben seines Instituts einschmissen. Ein Skandal, der aber noch im gleichen Jahr zur Gründung einer privaten Schule im Besitz der Cannstatter Bürgerfamilien führte. Sie hatten zusammen Geld aufgebracht und innerhalb kürzester Zeit eine Schule für ihre Töchter gegründet. Geleitet wurde die Schule von einem Ausschuss Cannstatter Bürger. Schulvorsteher wurde August Volz, ein Theologe, der zuvor am Kleemannschen Institut unterrichtet hatte. Volz entwickelte maßgeblich den Lehrplan. Eduard Pfeiffer, der Ende des 19. Jahrhunderts die Kolonie Ostheim hatte bauen lassen, richtete für die Schule eine Stiftung ein, mit deren Hilfe Lernmittel bezahlt werden konnten und Schulgeldbeiträge für die „unbemittelten“ Schülerinnen. Die Stadt Cannstatt unterstützte die Schule von Beginn an jährlich mit 450 Gulden.

Unterrichtet wurde zunächst in angemieteten Räumen in der Seelbergstraße, in fünf Klassen, in denen 62 Schülerinnen zwischen 6 und 16 Jahren saßen. Sie hatten fünf LehrerInnen: den Vorstand August Volz, der nach einem Jahr von Otto Schanzenbach abgelöst wurde, einen Elementarlehrer für die unteren Klassen, eine Elementarlehrerin, eine Sprachlehrerin und eine Arbeitslehrerin.

Da Cannstatt in dieser Zeit stark anwuchs und viele wohlhabende Familien zuzogen, verdoppelte sich die Zahl der Schülerinnen nach vier Jahren, nach acht Jahren verdreifachte sie sich. 1875 wurden bereits 240 Schülerinnen in acht Klassen von elf LehrerInnen unterrichtet.

Erste Schulhäuser in der Kreuznacher Straße (Ludwigstraße)

Erstes eigenes Schulgebäude der Höheren Töchterschule Cannstatt
Ecke König-Karl-Straße (Vordergrund) / Kreuznacher Straße

Die Schule baute mit Hilfe eines von den Eltern gegründeten Aktienvereins ein eigenes Schulgebäude Ecke König-Karl-Straße / Kreuznacher Straße (früher Königstraße / Ludwigstraße), das am 3. Februar 1868 eingeweiht wurde. Die Stadt hatte den Eltern das Grundstück günstig überlassen. Als auch dies Haus nicht mehr ausreichte, wurde 1872 daneben (heute Kreuznacher Straße 13, wo sich die VHS befindet) ein größeres Haus gebaut. Dort war nun auch Platz für eine eigene Schulbibliothek.

Wie sah nun der Lehrplan aus? Französisch war von Beginn an Pflicht. Englisch war ein Wahlfach, für das extra Schulgeld gezahlt werden musste. Deutsch wurde natürlich unterrichtet, für die höheren Klassen auch Literaturgeschichte. Zeichnen gab es von Beginn an, Turnen fehlte zunächst. Die Schule orientierte sich an den Vorgaben des Deutschen Vereins für das Mädchenschulwesen, der im Gegensatz zum Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein eine konservative Richtung vertrat. Er ging von der zweitrangigen Bedeutung weiblicher Lehrkräfte für die Ausbildung der Mädchen aus. So waren an dieser Schule zwar auch Lehrerinnen angestellt, aber sie spielten eine eher untergeordnete Rolle.

Finanzielle Probleme

Zweites Schulgebäude Kreuznacher Straße 13,
vorne links altes Schulgebäude

Die Wirtschaftskrise 1873 brachte finanzielle Probleme für die Schule, da die Eltern nicht mehr in der Lage waren, die Schule großzügig zu unterstützen. Hinzu kam die Konkurrenz durch die Gründung einer Mädchenmittelschule, die auf städtische Kosten betrieben wurde. Sie hatte einen ähnlichen Stundenplan, aber die Mädchen wurden lediglich bis zum Alter von 14 Jahren unterrichtet. Das Schulgeld war um einiges billiger als das für die Höhere Töchterschule. So ging die Zahl der dortigen Schülerinnen zurück.

Entwicklung zur Realschule

1876 verließ der Schulleiter Otto Schanzenbach die Schule, sein Nachfolger wurde Emil Conz. Mit ihm erhielt die Schule eine stärkere reale Ausrichtung, neue Lehrer wurden eingestellt, die eine entsprechende Ausbildung hatten. Es ging dabei weniger um die klassischen alten Sprachen Latein und Griechisch wie an den Höheren Schulen für Jungen, sondern um Wissen, das für das „reale“ Leben benötigt wurde: moderne Sprachen, Literatur, Kunst, Geographie, Geschichte, Naturkunde, Zeichnen, Religion und natürlich Feine Handarbeiten.

Kreuznacher Straße 13 heute, VHS

Da die Frauen im 19. Jahrhundert noch nicht zum Universitätsstudium zugelassen waren, für das man Latein und Griechisch benötigte, wurde an der Höheren Töchterschule auf die alten Sprachen verzichtet.

Ziele der Schulbildung waren, bei den jungen Frauen „Lust und Befähigung für geistige Arbeit“ zu erwecken, sie sollten zu „gebildeten Jungfrauen und Frauen“ erzogen werden und sie sollten zum „Denken und Urteilen, zu geistiger Selbständigkeit“ erzogen werden. Eigentlich fast modern anmutende Ziele.

Übernahme der Schule durch die Stadt 1879

Am 15. August 1879 übernahm nun die Stadt Cannstatt die Höhere Töchterschule. Dies Datum wird heute als Geburtsstunde der Schule gefeiert, obwohl die Schule bis zu diesem Zeitpunkt schon eine 14-jährige Geschichte als private Höhere Töchterschule hinter sich hatte. Nun stieg die Zahl der Schülerinnen wieder an und es gab bis 1903 zehn Klassen.

Neubau der heutigen Schillerschule

Drittes Schulgebäude: Heutige Schillerschule

In den Vertrag über die Vereinigung zwischen Cannstatt und Stuttgart 1904 war das Versprechen Stuttgarts aufgenommen worden, für die wachsende Höhere Töchterschule einen Neubau zu erstellen. So konnte die Schule 1908 in die neu errichtete Schule in der Wiesbadener Straße ziehen. Die heutige Schillerschule war in erster Linie für die Höhere Töchterschule vorgesehen und sollte zusätzlich eine Volksschule aufnehmen. Daher gab es zwei Eingänge. Von der Wiesbadener Straße (früher Schillerstraße) aus betraten die Höheren Töchter ihre Schule, von der Martin-Luther-Straße (früher Teckstraße) betraten die VolksschülerInnen ihre Schule.

Erste Abiturientinnen

Unter dem neuen Schulleiter Wilhelm Dürr (1922 – 1932) konnten 1931 die ersten Mädchen ihr Abitur in der sogenannten Höheren Mädchenrealschule ablegen, bevor diese dann 1937 in Oberschule für Mädchen Stuttgart-Bad Cannstatt umbenannt wurde. Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden überall die „ausländischen“ Namen Realschule und Gymnasium in Oberschule umgewandelt. Die Schule hatte vor dem Zweiten Weltkrieg 430 Schülerinnen.

1944 wurden die Schülerinnen aufs Land geschickt, um sie vor den Bomben zu schützen, die auf Cannstatt fielen. Die Mädchen gingen nach Urach und nach Metzingen. Im Schulgebäude wurden russische Kriegsgefangene untergebracht, bevor es bei einem Bombenangriff schwer beschädigt wurde.

Schwieriger Neustart in der Nachkriegszeit unter weiblicher Leitung

Bereits im Oktober 1945 waren die Schäden am Schulgebäude soweit behoben, dass der Unterricht wieder starten konnte.
Die kommissarische Schulleitung übernahm nun in dieser schwierigen Zeit erstmals eine Frau: Julie Baur, die bereits seit 1919 an der Schule als Lehrerin tätig gewesen war. Ab 1951 war sie auch offiziell Schulleiterin. Sie meinte bei ihrer ersten Schulabschlussrede im Sommer 1946: „Wir können uns natürlich auch fragen: ist denn ein Anlass zum Feiern da? Was ist über uns hingegangen, seit wir als Schule zum letzten Mal hier zusammen waren! Wir haben Grausiges erlebt und viele sind fast darüber verzweifelt. Auch vielen von Euch, liebe Schülerinnen, sind Welten zusammengebrochen, und wir alle finden uns nur langsam zurecht in den Trümmern unserer zerschlagenen Heimat.“ Gleichzeitig gab Julie Baur einen Überblick über das erste Jahr nach dem Krieg: Es gab zu wenige LehrerInnen, da viele wegen zu großer Nähe zum Nationalsozialismus nicht zum Dienst zugelassen waren. Nur wenige Neue kamen dazu. Nicht alle Räume der Schule waren wiederhergestellt und so musste der Unterricht im Schichtbetrieb abgehalten werden. Erst im Januar 1946 genehmigte die Militärregierung eine Heizung, bis dahin fand der Unterricht in der Kälte statt.

Einführung von Latein und Koedukation

Unter der Schulleitung von Julie Baur wurde 1948 ein neusprachlicher Zug eingerichtet, in dem die Mädchen erstmals auch Latein als zweite Fremdsprache lernen konnten. Latein war für viele Studienrichtungen wie z. B. Medizin notwendig. Außerdem löste Julie Baur 1954 den Hauswirtschaftlichen Zug auf, der nicht zur Hochschulreife geführt hatte. Er war vorgesehen für Mädchen, die eine gehobene Stellung im pflegerischen oder sozialen Bereich anstrebten. Die Auflösung des Zuges wurde von einigen sehr bedauert. „Nicht nur Mütter, sondern auch Väter treten mit Wärme für diese Schulform ein. Es gibt Mädchen genug, deren Begabungsrichtung auf die hauswirtschaftliche Oberstufe hinweist.“
Im gleichen Jahr 1954, in dem die Schule ihr 75-jähriges Bestehen feierte, wurde sie in Gymnasium für Mädchen umbenannt. Sie war nun ein „echtes“ Gymnasium, in dem die Mädchen ein gleichwertiges Abitur erwerben konnten. 840 Schülerinnen besuchten das Gymnasium in 24 Klassen. (Die Zahl der Volksschüler im Gebäude war auf 1100 angestiegen.)

Zehn Jahre später 1964 wurde die Schule in Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium für Mädchen umbenannt. Die Schülerinnen hatten sich im Unterricht mit dem Lebenslauf dieser überaus bemerkenswerten Frau beschäftigt und wünschten sich nun, dass ihre Schule nach ihr benannt wurde.

Der Zusatz „für Mädchen“ fiel 1969 weg, als die Koedukation eingeführt wurde.

Das neue Elly

Umzug des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums in die Remstalstraße

1975 zog das Gymnasium mit 900 Schülern und Schülerinnen in den Neubau in der Remstalstraße, wo nun in diesem Jahr erneut ein Neubau auf den Bezug wartet.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Emil Kleemann: Nachricht über die Höhere Unterrichts- und Erziehungsanstalt für Töchter von 13 bis 18 Jahren, Cannstatt 1875
  • Louise Kübler: Bilder aus dem Töchter-Institut in Cannstatt, Regensburg 1877 (Württembergische Landesbibliothek)
  • Emil Conz: Bericht über die Höhere Mädchenschule in Cannstatt in den ersten 25 Jahren, Cannstatt 1890 (Württembergische Landesbibliothek)
  • Manfred Schmid: 250000 Jahre Cannstatter Geschichte, Stuttgart 1996
  • Karin de la Roi-Frey: Schulidee: Weiblichkeit: höhere Mädchenschulen im Königreich Württemberg 1806 – 1918, Dissertation an der Universität Tübingen, 2003

Herzlichen Dank für den Blick, den ich in das Archiv des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums werfen durfte.

Bildnachweise

  • Kleemannsches Institut:
    Manfred Schmid: 250.000 Jahre Cannstatter Geschichte, Stuttgart 1996, S.42
  • Erstes Schulgebäude Höhere Töchterschule:
    Cannstatter Zeitung 21.10.2004
  • Zweites Schulgebäude Höhere Töchterschule:
    Archiv des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums
  • Aktuelle Fotos Privat