Die Wackernagels – eine Dynastie von SchauspielerInnen

Auf der Klassenliste des Abiturjahrgangs der Oberschule für Mädchen von 1943 stand auch der Name von Erika Ritzen, verheiratete Wackernagel und verheiratete Guter. Mit der zusätzlichen Information, dass sie Schauspielerin gewesen sei, wurde diese Frau für mich interessant.
In Wikipedia fand ich dann eine ganze „Dynastie“ von SchauspielerInnen: Ihr Sohn Christof ging zum Film, ihre Tochter Sabine ans Theater. Katharina Wackernagel, die Tochter von Sabine, kennen wir aus vielen Filmen.

Erikas Schulzeit in Cannstatt

Wiesbadener Str. 6/1

Die Eltern von Erika wohnten laut Adressbuch von 1940 bis 1942 in der Wiesbadener Straße 6/1, in einem schönen alten Haus in der zweiten Reihe. Der Vater Erich war Diplom-Ingenieur, vielleicht wegen der Kriegsproduktion nach Cannstatt gekommen.
Wahrscheinlich haben sie zuvor in Ulm gewohnt, denn Erika wurde am 19. Juni 1925 in Ulm geboren.
Hier in Cannstatt ging sie in die Oberschule für Mädchen, den Vorläufer des heutigen Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums, wo sie 1943 ihr Abitur machte. Sie war zusammen mit der Theologin Helene Möhler in einer Klasse.

Anschließend absolvierte sie eine Schauspielausbildung. Vielleicht lernte sie hier am Stuttgarter Staatstheater ihren Mann Peter Wackernagel kennen, der dort von 1943 bis 1945 als Regieassistent arbeitete.

Ehe mit Peter Wackernagel

Sie bekamen zwei Kinder: Sabine wurde 1947 noch hier in Stuttgart geboren und Christof 1951 in Ulm.

Peter Wackernagel

Erika spielte zehn Jahre lang an den Städtischen Bühnen in Ulm, dann gab sie das Theaterspielen zeitweise auf und arbeitete als Journalistin. Ihr Mann Peter inszenierte zunächst als selbständiger Regisseur an verschiedenen Bühnen in Deutschland, bevor er dann 1954 die Stelle als Intendant an den Städtischen Bühnen Ulm übernahm.
Nach vier Jahren Intendanz starb er 1958 mit gerade einmal 45 Jahren.

Mit ihren beiden Kindern zog Erika nach München und heiratete 1961 den Architekten Heinrich Guter, der zum Freundeskreis der Weißen Rose gehört hatte. Wegen Mitwisserschaft war er von den Nationalsozialisten zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden. 1987 war er dann Mitbegründer der Weiße-Rose-Stiftung.

In den 1970er Jahren begann Erika wieder Theater zu spielen. So kam sie auch wieder ans Stuttgarter Staatstheater. Zudem drehte sie Filme, fürs Kino und fürs Fernsehen.
Sie starb 1995 auf Mallorca.

Sabine Wackernagel

Die Tochter Sabine wurde ebenfalls Schauspielerin

Ihre Tochter Sabine Wackernagel wurde 1947 in Stuttgart geboren, zog dann mit ihren Eltern nach Ulm und 1960 weiter nach München. Auch sie wollte, so wie ihre Eltern, ans Theater. Aber auf Wunsch ihrer Mutter absolvierte sie zunächst eine „anständige“ Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Danach folgte sie ihrer Leidenschaft und machte eine Schauspielausbildung. Sie hatte feste Engagements in Tübingen, Freiburg und Kassel. Auch sie spielte immer mal wieder in Filmen mit.

Der leibliche Vater ihrer Tochter Katharina Wackernagel ist der Schauspieler und Regisseur Valentin Jeker. In seinen Theaterproduktionen spielte Sabine des Öfteren mit. Der Vater der beiden Söhne ist Erich Grosch, mit dem Sabine seit 1971 verheiratet ist: Jonas Grosch arbeitet als Filmregisseur und Drehbuchautor. Philipp Grosch schlägt etwas aus der Art und ist Mathematiker.

Mittlerweile macht Sabine Wackernagel auch viele Lesungen, sie singt und tritt mit eigenen Programmen auf – manchmal auch zusammen mit ihrer Tochter Katharina.

Christof Wackernagel: Schauspieler mit terroristischer Vergangenheit

Christoph Wackernagel

Sabines Bruder Christof kam 1951 in Ulm auf die Welt. Er wurde bereits mit vierzehn Jahren als Schauspieler entdeckt, als er noch in München das Gymnasium besuchte. Zwei Jahre später hatte er seine erste Hauptrolle in dem Film Tätowierung von Johannes Schaaf, der auch im Wettbewerb der Berlinale lief. Christof verließ das Gymnasium, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen. Anfang der 1970er Jahre kam er nach Stuttgart, wo er kleinere Rollen übernahm.

Schon länger hatte er mit der RAF sympathisiert. 1977 wurde er festgenommen und wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Gefängnis begann er zu schreiben und distanzierte sich von der RAF. Nach 11 Jahren wurde er auf Bewährung frei gelassen.
Er bekam wieder Rollenangebote – für erfolgreiche, aber leichtere Unterhaltungsfilme wie Ein Mann für jede Tonart, Der bewegte Mann oder Männerpension.

Aber Christof hatte viele neue Pläne. So wollte er auf Mali, wohin er sich zurückgezogen hatte, eine Vollkornbäckerei eröffnen, was allerdings schief ging.
Heute lebt er zusammen mit seinem Sohn in der Nähe von München.

Enger Zusammenhalt der Familie Wackernagel

Die Familie der Wackernagels setzte sich künstlerisch mit der terroristischen Vergangenheit von Christof auseinander. So drehte sein Neffe Jonas Grosch einen Dokumentarfilm über ihn (Der Weiße mit dem Schwarzbrot).
Trotz aller Probleme hielt die Familie immer wieder zusammen. So spielen in Jonas Groschs Film Résiste – Aufstand der Praktikanten seine Mutter Sabine und sein Onkel Christof ein Alt-68er Ehepaar. Die Hauptrolle übernahm seine Schwester Katharina Wackernagel. Und auch sein älterer Bruder Philipp spielt hier ausnahmsweise als Statist mit.

Katharina ist die bekannteste Schauspielerin der Familie

Katharina Wackernagel

Die bekannteste Schauspielerin der Familie ist Katharina, die Tochter von Sabine, die 1978 in Freiburg geboren wurde. Schon als kleines Mädchen organisierte sie Theateraufführungen mit ihren Freundinnen. Katharina besuchte die Schule in Kassel und wollte eigentlich nach dem Abitur auf die Schauspielschule. Aber schon vorher wurde sie für die Titelrolle der Serie Tanja ausgewählt. Sie übernahm den Namen Wackernagel, um sich in die Tradition dieser Familie von SchauspielerInnen einzuordnen.

Nach dem Fernseherfolg der Serie Tanja spielte sie in vielen Film- und Fernsehfilmen mit: Das Wunder von Bern, Der Baader-Meinhof-Komplex, Das Wunder von Lengede, Contergan, Aenne Burda. Seit 2009 spielt sie die Kommissarin im Krimi Stralsund.
2018 führte Katharina in ihrem ersten Film Regie: Wenn Fliegen träumen. Auch das wieder ein Familienprojekt. Ihr Bruder Jonas, mit dem sie in Berlin zusammen lebt, schrieb das Drehbuch. Ihre Mutter Sabine spielt ebenso mit wie ihr leiblicher Vater Valentin Jeker.

So hat sich also eine ganze Dynastie von SchauspielerInnen entwickelt. Beginnend mit Erika Wackernagel, die hier in Cannstatt ihr Abitur machte, über Sabine Wackernagel, die in Stuttgart geboren wurde, bis zu Katharina Wackernagel, die uns des Öfteren im Fernsehen begegnet.

Elisabeth Skrzypek

Links

Bildnachweise