Eine Ärztin für Cannstatt: Hedwig Braun

Hedwig Braun war die erste staatlich geprüfte Ärztin in Württemberg. Eine Pionierin in der Medizin. Ein wichtiger Grund, an diese Cannstatterin zu erinnern.
Sie legte ihr Abitur als Hedwig Dinkel hier am Kepler-Gymnasium ab und gehörte damit zu den ersten Abiturientinnen in Württemberg. Nach ihrem Studium arbeitete sie über 65 Jahre in Cannstatt als Ärztin.

Weinsberg 1892

Besuch der Lateinschule in Weinsberg

Hedwig Dinkel wurde am 5. Dezember 1886 in Friedrichshafen am Bodensee geboren. Sie war die einzige Tochter, hatte aber drei jüngere Brüder. Aufgewachsen ist sie in Weinsberg, wo ihr Vater Lehrer an der Lateinschule war. Mutter und Vater unterrichteten ihre Tochter zunächst privat, mit neun Jahren wurde sie dann als einziges Mädchen in der Lateinschule in Weinsberg aufgenommen.

Nachdem ihr Vater Heinrich Dinkel 1902 eine Stelle als Lehrer am Cannstatter Gymnasium bekommen hatte, zog die Familie mit den vier Kindern nach Cannstatt.

Privates Mädchengymnasium Stuttgart und Abitur am Cannstatter Gymnasium

Hedwig hatte bereits 1899 an das gerade neu gegründete Private Mädchengymnasium in Stuttgart gewechselt. Sie war damals mit ihren 12 Jahren die Jüngste in der Klasse. In Latein konnte sie zwar mit den Älteren locker mithalten, da sie als einzige bereits Latein gelernt hatte. Aber sie hinkte in den anderen Fächern hinterher. Dennoch konnte sie 1904 ihr Abitur zusammen mit ihren Klassenkameradinnen extern am Königlich-Württembergischen Gymnasium in Cannstatt ablegen, dem heutigen Johannes-Kepler-Gymnasium, wo ihr Vater seit 1902 als Lehrer tätig war. Diese vier jungen Frauen waren die ersten Abiturientinnen im Königreich Württemberg.

Schon früh war Hedwig klar, dass sie Medizin studieren wollte. Als sie auf der Abiturfeier von Königin Charlotte gefragt wurde, was sie studieren wolle, antwortete sie sofort: Medizin. Und es wird erzählt, dass die Königin meinte: „So jung und Medizin studieren – das wirkt komisch!“ Hedwig war damals 18 Jahre alt.

Medizinstudium in München und Tübingen

Hedwig Dinkel war sehr zielstrebig und absolvierte ihr Medizinstudium in München und in Tübingen, wo sie 1909 die medizinische Staatsprüfung ablegte. 1910 erhielt sie die Approbation und den Doktortitel. Damit war sie die erste staatlich geprüfte Ärztin in Württemberg.

Für ein Jahr arbeitete sie als Medizinalpraktikantin am Pathologischen Institut in Tübingen, anschließend wechselte sie in die chirurgische Abteilung des Cannstatter Krankenhauses. Dort operierte sie in Cannstatt ihren ersten Blinddarm und der Assistenzarzt Heinrich Braun hielt sie – so wird erzählt – auch während ihres Urlaubs über den Gesundheitszustand ihres Patienten auf dem Laufenden, indem er Fieberkurven auf Postkarten zeichnete. So kamen die beiden sich näher.

Hedwig Dinkel wechselte noch für einige Monate in die Innere Abteilung des Karl-Olga-Krankenhauses und ins Kinderkrankenhaus Berg. Dann 1912 heirateten Hedwig Dinkel und Heinrich Braun. Hedwig schied aus dem öffentlichen Dienst aus und arbeitete in der Praxis mit, die ihr Mann Heinrich 1911 zunächst in der Wilhelmstraße 34 eröffnet hatte – dort wo heute die Brunnen-Realschule steht.

Gemeinsame Praxis mit ihrem Mann am Wilhelmsplatz

1912 zogen sie in die König-Karl-Straße 55 in den zweiten Stock um, also direkt an den Wilhelmsplatz. In Parterre und im ersten Stock war ein Bekleidungsgeschäft, im zweiten Stock hatten die Brauns ihre Praxis und ihre Wohnung.

Sie bekamen vier Kinder: der ältere Sohn fiel im Zweiten Weltkrieg und der jüngere Sohn musste für fünf Jahre in russische Gefangenschaft. 1914 hatte Hedwig wohl Zwillinge bekommen: das eine Kind starb mit acht Jahren, ihre Tochter Anneliese wurde Kinderärztin in Cannstatt. Sie war das erste Mädchen, das – auf Betreiben ihrer Mutter Hedwig Braun – ab 1923 das heutige Johannes-Kepler-Gymnasium von der fünften Klasse bis zum Abitur besuchte.

Während des Ersten Weltkriegs, als Heinrich als Marinearzt nach Norddeutschland eingezogen worden war, arbeitete Hedwig erneut für einige Monate am Cannstatter Chirurgischen Krankenhaus. Es fehlte an Ärzten, da viele männliche Kollegen ebenfalls eingezogen worden waren.

Nach dem Krieg kehrten Heinrich und Hedwig in ihre gemeinsame Praxis zurück. Seit 1925 wurde Hedwig Braun bei der Kassenärztlichen Vereinigung als Assistentin ihres Mannes geführt. 1929 wurde sie Mitglied im Bund deutscher Ärztinnen. Im gleichen Jahr zogen die Brauns um in die Badstraße 9. Ebenfalls am Wilhelmsplatz, etwa da, wo heute die Karls-Passage steht.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Praxis der Brauns dort mehrere Male von Bomben getroffen und sie eröffneten eine neue Praxis in der Taubenheimstraße 33 im ersten Stock, wo sich auch ihre Wohnung befand.

Taubenheimstraße 33

Hedwig führt die Praxis in der Taubenheimstraße alleine

Heinrich Braun wurde schwer krank und Hedwig musste immer mehr Arbeit in der gemeinsamen Praxis übernehmen. Sie erhielt nun auch die offizielle Zulassung als „Praktische Ärztin in Gemeinschaftspraxis“. Heinrich Braun starb 1952 und Hedwig übernahm die Praxis alleine.

Ihr Vater war bereits Anfang der 1920er Jahre gestorben. Ihre Mutter Ernestine, die Hedwig mit der Kinderbetreuung immer wieder unterstützt hatte, starb 1953.

Taubenheimstraße 35

Hedwig Braun praktizierte offiziell noch bis 1956, danach führte sie ihre Praxis noch fünf Jahre als Privatpraxis.

Einsatz als Ärztin bis an ihr Lebensende 1977

Anschließend arbeitete sie in der Praxis ihrer Tochter Anneliese mit. Diese hatte zunächst im Nebengebäude in der Taubenheimstraße 35 im Erdgeschoss eine Kinderarzt-Praxis. Ab 1957 findet sich Annelieses Praxis im Adressbuch in der Beuthener Straße 1, an der Ecke zur Waiblinger Straße, da wo heute die Drucker-Tankstelle ist.

Beuthener Straße 1

Beide Frauen wohnten zusammen zunächst in der Taubenheimstraße 33, ab 1974 wird als Wohnort für Hedwig und Anneliese Braun die Ferdinand-Hanauer-Straße 86 genannt. Sie hatten dort auf dem Muckensturm ein Reihenhaus.

Verleihung der Albert-Schweitzer-Medaille

Zu ihrem 90. Geburtstag bekam Hedwig Braun von der Landesärztekammer Baden-Württemberg die Albert-Schweitzer-Medaille verliehen.

Die Sozialministerin Annemarie Griesinger hatte gleichzeitig vorgeschlagen, ihr das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Aber Hedwig Braun lehnte dies ab, da sie sich nicht würdig genug fühle. Mit der Albert-Schweizer-Medaille sei sie reichlich belohnt.

Am 18.12.1977 starb Hedwig Braun. Sie liegt auf dem Uff-Kirchhof, zusammen mit ihrem Mann Heinrich und ihrer Tochter Anneliese.

Elisabeth Skrzypek

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