Eine Ärztin für Cannstatt: Hedwig Braun

Hedwig Braun war die erste staatlich geprüfte Ärztin in Württemberg. Eine Pionierin in der Medizin. Ein wichtiger Grund, an diese Cannstatterin zu erinnern.
Sie legte ihr Abitur als Hedwig Dinkel hier am Kepler-Gymnasium ab und gehörte damit zu den ersten Abiturientinnen in Württemberg. Nach ihrem Studium arbeitete sie über 65 Jahre in Cannstatt als Ärztin.

Weinsberg 1892

Besuch der Lateinschule in Weinsberg

Hedwig Dinkel wurde am 5. Dezember 1886 in Friedrichshafen am Bodensee geboren. Sie war die einzige Tochter, hatte aber drei jüngere Brüder. Aufgewachsen ist sie in Weinsberg, wo ihr Vater Lehrer an der Lateinschule war. Mutter und Vater unterrichteten ihre Tochter zunächst privat, mit neun Jahren wurde sie dann als einziges Mädchen in der Lateinschule in Weinsberg aufgenommen.

Nachdem ihr Vater Heinrich Dinkel 1902 eine Stelle als Lehrer am Cannstatter Gymnasium bekommen hatte, zog die Familie mit den vier Kindern nach Cannstatt.

Privates Mädchengymnasium Stuttgart und Abitur am Cannstatter Gymnasium

Hedwig hatte bereits 1899 an das gerade neu gegründete Private Mädchengymnasium in Stuttgart gewechselt. Sie war damals mit ihren 12 Jahren die Jüngste in der Klasse. In Latein konnte sie zwar mit den Älteren locker mithalten, da sie als einzige bereits Latein gelernt hatte. Aber sie hinkte in den anderen Fächern hinterher. Dennoch konnte sie 1904 ihr Abitur zusammen mit ihren Klassenkameradinnen extern am Königlich-Württembergischen Gymnasium in Cannstatt ablegen, dem heutigen Johannes-Kepler-Gymnasium, wo ihr Vater seit 1902 als Lehrer tätig war. Diese vier jungen Frauen waren die ersten Abiturientinnen im Königreich Württemberg.

Schon früh war Hedwig klar, dass sie Medizin studieren wollte. Als sie auf der Abiturfeier von Königin Charlotte gefragt wurde, was sie studieren wolle, antwortete sie sofort: Medizin. Und es wird erzählt, dass die Königin meinte: „So jung und Medizin studieren – das wirkt komisch!“ Hedwig war damals 18 Jahre alt.

Medizinstudium in München und Tübingen

Hedwig Dinkel war sehr zielstrebig und absolvierte ihr Medizinstudium in München und in Tübingen, wo sie 1909 die medizinische Staatsprüfung ablegte. 1910 erhielt sie die Approbation und den Doktortitel. Damit war sie die erste staatlich geprüfte Ärztin in Württemberg.

Für ein Jahr arbeitete sie als Medizinalpraktikantin am Pathologischen Institut in Tübingen, anschließend wechselte sie in die chirurgische Abteilung des Cannstatter Krankenhauses. Dort operierte sie in Cannstatt ihren ersten Blinddarm und der Assistenzarzt Heinrich Braun hielt sie – so wird erzählt – auch während ihres Urlaubs über den Gesundheitszustand ihres Patienten auf dem Laufenden, indem er Fieberkurven auf Postkarten zeichnete. So kamen die beiden sich näher.

Hedwig Dinkel wechselte noch für einige Monate in die Innere Abteilung des Karl-Olga-Krankenhauses und ins Kinderkrankenhaus Berg. Dann 1912 heirateten Hedwig Dinkel und Heinrich Braun. Hedwig schied aus dem öffentlichen Dienst aus und arbeitete in der Praxis mit, die ihr Mann Heinrich 1911 zunächst in der Wilhelmstraße 34 eröffnet hatte – dort wo heute die Brunnen-Realschule steht.

Gemeinsame Praxis mit ihrem Mann am Wilhelmsplatz

1912 zogen sie in die König-Karl-Straße 55 in den zweiten Stock um, also direkt an den Wilhelmsplatz. In Parterre und im ersten Stock war ein Bekleidungsgeschäft, im zweiten Stock hatten die Brauns ihre Praxis und ihre Wohnung.

Sie bekamen vier Kinder: der ältere Sohn fiel im Zweiten Weltkrieg und der jüngere Sohn musste für fünf Jahre in russische Gefangenschaft. 1914 hatte Hedwig wohl Zwillinge bekommen: das eine Kind starb mit acht Jahren, ihre Tochter Anneliese wurde Kinderärztin in Cannstatt. Sie war das erste Mädchen, das – auf Betreiben ihrer Mutter Hedwig Braun – ab 1923 das heutige Johannes-Kepler-Gymnasium von der fünften Klasse bis zum Abitur besuchte.

Während des Ersten Weltkriegs, als Heinrich als Marinearzt nach Norddeutschland eingezogen worden war, arbeitete Hedwig erneut für einige Monate am Cannstatter Chirurgischen Krankenhaus. Es fehlte an Ärzten, da viele männliche Kollegen ebenfalls eingezogen worden waren.

Nach dem Krieg kehrten Heinrich und Hedwig in ihre gemeinsame Praxis zurück. Seit 1925 wurde Hedwig Braun bei der Kassenärztlichen Vereinigung als Assistentin ihres Mannes geführt. 1929 wurde sie Mitglied im Bund deutscher Ärztinnen. Im gleichen Jahr zogen die Brauns um in die Badstraße 9. Ebenfalls am Wilhelmsplatz, etwa da, wo heute die Karls-Passage steht.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Praxis der Brauns dort mehrere Male von Bomben getroffen und sie eröffneten eine neue Praxis in der Taubenheimstraße 33 im ersten Stock, wo sich auch ihre Wohnung befand.

Taubenheimstraße 33

Hedwig führt die Praxis in der Taubenheimstraße alleine

Heinrich Braun wurde schwer krank und Hedwig musste immer mehr Arbeit in der gemeinsamen Praxis übernehmen. Sie erhielt nun auch die offizielle Zulassung als „Praktische Ärztin in Gemeinschaftspraxis“. Heinrich Braun starb 1952 und Hedwig übernahm die Praxis alleine.

Ihr Vater war bereits Anfang der 1920er Jahre gestorben. Ihre Mutter Ernestine, die Hedwig mit der Kinderbetreuung immer wieder unterstützt hatte, starb 1953.

Taubenheimstraße 35

Hedwig Braun praktizierte offiziell noch bis 1956, danach führte sie ihre Praxis noch fünf Jahre als Privatpraxis.

Einsatz als Ärztin bis an ihr Lebensende 1977

Anschließend arbeitete sie in der Praxis ihrer Tochter Anneliese mit. Diese hatte zunächst im Nebengebäude in der Taubenheimstraße 35 im Erdgeschoss eine Kinderarzt-Praxis. Ab 1957 findet sich Annelieses Praxis im Adressbuch in der Beuthener Straße 1, an der Ecke zur Waiblinger Straße, da wo heute die Drucker-Tankstelle ist.

Beuthener Straße 1

Beide Frauen wohnten zusammen zunächst in der Taubenheimstraße 33, ab 1974 wird als Wohnort für Hedwig und Anneliese Braun die Ferdinand-Hanauer-Straße 86 genannt. Sie hatten dort auf dem Muckensturm ein Reihenhaus.

Verleihung der Albert-Schweitzer-Medaille

Zu ihrem 90. Geburtstag bekam Hedwig Braun von der Landesärztekammer Baden-Württemberg die Albert-Schweitzer-Medaille verliehen.

Die Sozialministerin Annemarie Griesinger hatte gleichzeitig vorgeschlagen, ihr das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Aber Hedwig Braun lehnte dies ab, da sie sich nicht würdig genug fühle. Mit der Albert-Schweizer-Medaille sei sie reichlich belohnt.

Am 18.12.1977 starb Hedwig Braun. Sie liegt auf dem Uff-Kirchhof, zusammen mit ihrem Mann Heinrich und ihrer Tochter Anneliese.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

Bildnachweise



Frauenskulpturen in Cannstatt – ein Nachtrag

Nachdem ich den Blogbeitrag „Sind Frauen immer nackt und Männer immer wichtig? – Denkmäler und Skulpturen in Cannstatt“ veröffentlicht hatte, bin ich auf weitere Frauenskulpturen und Frauenbildnisse in Cannstatt aufmerksam gemacht worden. Die möchte ich euch nicht vorenthalten. Es ist wirklich erstaunlich, was Cannstatt alles zu bieten hat, wenn man mal aufmerksam durch die Straßen läuft.

Zunächst einmal habe ich am Schloss Rosenstein, das 1824 – 1829 von Giovanni Salucci erbaut wurde, noch elf weitere Frauenskulpturen entdeckt. So sind die vier Nebeneingänge an beiden Seiten durch Frauenskulpturen geschmückt. Diese acht Figuren stellen die Musen in der griechischen Mythologie dar.

  • Obere Reihe von links: Calliope (Muse der Dichtung), Clio (Muse der Geschichte), Erato (Muse der Liebesdichtung), Polyhymnia (Muse des Gesangs)
  • Untere Reihe von links: Terpsichore (Muse des Tanzes), Thalia (Muse der Komödie), Urania (Muse der Astronomie), Euterpe (Muse der Lyrik, Flöte fehlt)
  • Die neunte Muse Melpomene (Muse der tragischen Dichtung) fehlt, da nur Platz für acht Frauen war.

Der Rosengarten wird zudem von der Venus in drei verschiedenen Formen eingerahmt.

Kapitolinische Venus
Venus von Milos
Venus von Phidias

Eine ganz andere Darstellung einer Frau hat Doris am Pavillon im oberen Kurpark entdeckt: dort findet man das Relief von Luise von Kegelen. Darauf ist vermerkt, dass es sich um eine Regierungsratswitwe handelt. Sie war die Frau von Friedrich von Kegelen, der von 1850 bis 1877 Oberamtmann und Regierungsrat in Cannstatt war. Nach ihm ist die Kegelenstraße benannt. Vielleicht hat seine Frau als Witwe (nach 1891) für die Anlage des Kurparks Geld gespendet.

Läuft man den Kurpark Richtung Olgakrippe bergab, dann sieht man dort das Bild der Königin Olga. Sicherlich keine Skulptur, aber dennoch erwähnenswert.

Ebenfalls eher zweidimensional ist das sehenswerte Bildnis von Wilhelmine von Cotta auf Kacheln, mit denen SchülerInnen des Kepler-Gymnasiums eine Wand am Spielplatz im Unteren Kurpark gestaltet haben. Wilhelmine war die Ehefrau des Verlegers Johann Friedrich Cotta. Das Originalgemälde stammt von Christian Gottlieb Schick.

Am Wilhelma-Theater auf der anderen Neckarseite habe ich noch zwei Frauenskulpturen entdeckt. Die eine stellt sicherlich die Musik dar, die im Wilhelma-Theater aufgeführt wird, die andere das Theater.

Bei meinem Rundgang über den Uff-Friedhof fallen mir die vielen interessanten Frauen-Skulpturen auf.

Die älteste Darstellung, die ich gefunden habe, ist das Grab des ehemaligen Bürgermeisters von Cannstatt Jakob Speidel mit seinen beiden Ehefrauen. Beide Ehefrauen, Sybille Neuhäuser und Barbara Vollmer, knien einträchtig nebeneinander und beten das Kreuz an. Der Ehemann der beiden kniet auf der anderen Seite des Kreuzes.

Immer wieder finden sich auf den Gräbern tröstende Engel. Mal in einer klassischen Ausführung, mal etwas moderner.

Auf einigen Gräbern finden sich Skulpturen von trauernden Frauen, die einen teilweise tief berühren.

Einige meist moderneren Skulpturen sind eher geschlechtslos.

Teleparty von Jürgen Goertz

Das Areal der Telekom an der Nauheimer und Kissinger Straße wird zur Zeit total renoviert. Im Zuge der Umgestaltung sind leider die Skulpturen dort verschwunden.
Das ist zum einen die Teleparty von Jürgen Goertz (1988) und zum anderen die Portalfigurengruppe von Waldemar Otto (1987).
Wo sie jetzt stehen, ob sie wieder in dem Areal aufgestellt werden nach der Renovierung, weiß ich nicht. Ich fände es ausgesprochen schade, wenn diese interessanten Figuren für Cannstatt verloren wären.

Immer wieder finde ich bei meinen Spaziergängen neue Skulpturen. Falls ihr Skulpturen entdeckt, die ich noch nicht erwähnt habe, freue ich mich, wenn ihr mich darauf aufmerksam macht.

Elisabeth Skrzypek

Fotonachweise

Die Bildhauerin vom Entaklemmer – Ein Nachruf auf Elke Krämer

Elke Krämer
(Foto privat)

Am ersten September 2020 ist die Cannstatter Bildhauerin Elke Krämer gestorben. Zeit an sie zu erinnern bzw. sie vorzustellen. Denn nicht alle werden sie kennen, obwohl sie regelmäßig an ihren Kunstwerken in Cannstatt vorbeigehen, ohne zu wissen, dass diese von Elke Krämer gestaltet worden sind.

D’r Entaklemmer wurde 1989 auf dem Thaddäus-Troll-Platz aufgestellt

Das bekannteste ist „D’r Entaklemmer“ auf dem Thaddäus-Troll-Platz. Die Wikipedia klärt uns darüber auf, dass ein Entenklemmer ein Geiziger ist, der beim Verkauf einer Ente noch das letzte Ei aus der Ente herauspresst, indem er „ … mit Daumen und Zeigefinger den hinteren Teil der Ente zusammenklemmt“. Thaddäus Troll hatte 1976 ein gleichnamiges Lustspiel geschrieben, angelehnt an „Den Geizigen“ von Molière.

(Fotos privat)

Eigentlich rührt der Begriff Entaklemmer daher, dass die Bauern, bevor sie die Ente frei laufen ließen, überprüften, ob sie in nächster Zeit ein Ei legen würde. Und falls dies der Fall war, durfte sie nicht ins Freie. Damit sie die Eier nicht im Freien suchen mussten.

Elke Krämer arbeitet am Entaklemmer (Foto: Klaus Wagner)

Aufgewachsen in einer Tapisserien-Fabrik

Die Bildhauerei war nicht von Beginn an das Metier von Elke Krämer. Geboren wurde sie 1941 mitten im Krieg als einziges Kind von Johanna und Robert Pfisterer. Sie wuchs in einem Geschäftshaushalt in Cannstatt auf, die Eltern hatten eine Tapisserien-Fabrik, die sich zunächst in der Ruhrstraße 11 befand, dann in der Daimlerstraße 40 und zum Schluss in der Kleemannstr. 8. Gewohnt hat die Familie zunächst in der Ruhrstraße, dann bis 1958 in der Kreuznacher Straße 15.
Elke Krämer ging ins Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium und machte dort die Mittlere Reife, bevor sie nach London ging, um Englisch zu lernen.

Frühe Heirat, vier Kinder

Bereits mit 17 Jahren heiratete sie Heinz Krämer, der doppelt so alt wie sie war. Sie zogen zusammen mit den Eltern in das neu gebaute Haus in der Tannenbergstraße 1 und bekamen vier Kinder.
Erst beim Basteln mit den Kindern erkannte sie ihr Talent fürs Modellieren. Sie modellierte eine Weihnachtskrippe und „ … ab da bin ich der Dreidimensionalität verfallen“. Sie baute ihr Wissen in der Bildhauerei in Kursen aus. Insbesondere das Bronzegießen hatte es ihr angetan.

Als Künstlerin wurde sie durch Zufall von Willy Wiedmann entdeckt. Als sie mal ihren Käfer mit zwei ihrer Figuren vor der Wiedmann-Galerie geparkt hatte, entdeckte Wiedmann diese, war begeistert und verschaffte ihr eine Ausstellung in der von ihm geleiteten TWS-Galerie in Stuttgart. Danach erhielt sie weitere Möglichkeiten für Ausstellungen im In- und Ausland, wo sie ihre Figuren verkaufen konnte.

Etwas ganz besonderes war der Gewinn eines Wettbewerbs in Chicago, wo sie eine Schwarzbärengruppe gestaltete, die heute am Lake Michigan See steht. Eine Kopie dieser Gruppe kann man in Tripsdrill sehen.

Spuren in Cannstatt

Mittelalterliche Marktstraße (Foto privat)

Aber auch der Verein Pro Alt-Cannstatt wollte Figuren von ihr gestaltet haben. So gab der Verein neben dem Entaklemmer weitere Arbeiten in Auftrag.

Porträt von Robert Stolz, Marktstraße 40 (Foto privat)

An den Resten der Stadtmauer vor dem Kaufhof findet sich das Relief der mittelalterlichen Marktstraße. Und am Haus der Marktstraße 40 hängt ihr Porträt von Robert Stolz, der dort 1914 wohnte, während er die Aufführung seiner Operette am Wilhelma-Theater vorbereitete.




Etwas ganz Besonderes ist das Kreuz, das den Altar in der Wichernkirche schmückt.

Altarkreuz in Wichern
(Fotos privat)
Ausschnitt















Doris Brodbeck hat Elke Krämer noch im Herbst 2019 besucht und schildert diesen Besuch:

In der Interessengruppe „Frauen schreiben Geschichten“ an der Liebfrauenkirche spürten wir bedeutenden Cannstatterinnen nach. Ich hörte von Elke Krämers Wirken und dass sie nicht weit von mir entfernt wohnte. Da fasste ich mir im Herbst 2019 ein Herz und klingelte bei ihr. Sie empfing mich sehr freundlich und entließ mich später über die Balkontür. Der Weg durch den Garten erschien mir sehr lang, da von Wänden, vom Gras, aus der Luft zahlreiche Plastiken aus Bronze oder Ton den Blick anzogen – ich trudelte durch den Garten, verirrte mich staunend, fand schließlich den Ausgang … Die Statuen hatten mich so fasziniert, dass der Weg verlängert wurde.

Woher hatte sie dieses künstlerische Talent? Sie erzählte von ihrer Mutter Johanna, die in der eigenen Tapisserien-Fabrik Stickereien auf Stramin übertrug und einen wachen Blick für Formen, Proportionen, Gestaltung hatte. Diese Firma Robert Pfisterer (ROPI) wuchs mit dem Wirtschaftswunder, hatte verschiedene Firmensitze in Cannstatt, zuletzt in der Kleemannstraße im Kunzi-Bau. Auch Elke half, Rembrandt und Gemälde verschiedener Stilrichtungen in stickbare Formate zu übertragen und die Stick-Sets zu verpacken. Als Stickerei „made in Germany“ nicht mehr konkurrenzfähig war, ging die Firma in Konkurs, die Villa am Galgenberg machte Platz für Mehrfamilienhäuser. Es blieben einige Räume und eben dieser Künstler-Garten …

Grabstein auf dem Grab ihrer Eltern, gestaltet von Elke Krämer (Foto privat)

Gerne hätte ich Frau Krämer noch einmal besucht, doch die Corona-Zeit kam dazwischen.

Auf dem Uff-Kirchhof besuchte ich im September das Grab ihrer Eltern, wollte noch mal die Bronze-Profile anschauen – da war eine neue Bestattung hinzugekommen: Elke Krämer hatte ihre letzte Ruhe gefunden.“

Doris Brodbeck, Elisabeth Skrzypek,

Literatur

Anita Konstandin: Bad Cannstatter Profile: Bürger unserer Zeit, 2007, S. 191

Lenore Volz, die erste Cannstatter Pfarrerin

Mittlerweile kennen doch einige in Bad Cannstatt den Namen von Lenore Volz. Aber wer diese Frau war, woher sie kam, wissen vielleicht nicht alle.

Cannstatt ist schon eine sehr alte christliche Gemeinde. Bereits im 8. Jahrhundert kamen die fränkischen Herrscher, vertrieben die Alemannen im berühmten Cannstatter Blutgericht und errichteten die ersten drei Kirchen. Das waren die Martinskirche (damals auf der Altenburg), die Uff-Kirche und insbesondere die Stadtkirche. Im 15. Jahrhundert erhielt die Stadtkirche durch den Baumeister Alberlin Jörg in etwa das heutige Aussehen, bis auf den oberen Teil des Turms. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Reformation eingeführt und seitdem gab es fast durchweg männliche Pfarrer, mit drei Ausnahmen: Frau Giera besetzte eine Zeitlang die dritte Pfarrstelle, Franziska Link war von 2008 bis 2016 Pfarrerin an der Stadtkirche und während des Zweiten Weltkriegs hat Lenore Volz u.a. an der Stadtkirche Pfarrdienste versehen. Sozusagen aus der Not heraus.

Wer war Lenore Volz?

Lenore Volz

Lenore wurde am 16. März 1913 als jüngstes von drei Kindern in Waiblingen geboren, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Ihr Vater Hugo Volz war Vorstand des Finanzamtes Waiblingen, stammte aber aus einer Familie von Pfarrern, die den sechsten evangelischen Abt des Klosters Maulbronn in ihrer Ahnenreihe haben. Ihr Vater wurde auch in Maulbronn geboren. Lenore Volz hatte zwei deutlich ältere Geschwister, ihr Bruder starb bereits im Kindesalter. Als ihr Vater 1921 die Leitung des Finanzamtes in Esslingen übernahm, übersiedelte die Familie nach Esslingen.

In der Familie war immer viel Trubel. Ihre Mutter Amalie Volz war eine sehr umtriebige und kontaktfreudige Person, deren Ahnenlinie auf Johannes Brenz, den bekannten württembergischen Reformator, zurück geht. Amalie Volz war die Gründerin der ersten evangelischen Mütterschule in Esslingen. Lenore Volz kann also eine stolze Ahnentafel vorweisen.

Bereits nach der Konfirmation beschloss Lenore Theologie zu studieren, ein Studienwunsch, den zwar ihre Eltern unterstützen, den aber die Gesellschaft kritisch sah. Da sie in Esslingen als Mädchen kein Abitur machen konnte, wechselte sie nach dem Abschluss der Esslinger Mädchenschule ans Königin-Katharina-Stift in Stuttgart. Nach ihrem Abitur lernte sie zunächst Latein und Griechisch, bevor sie 1933 als eine von zwölf Frauen ihr Theologiestudium in Tübingen begann. Hebräisch lernte sie während der Semesterferien. Allerdings hatte man ihr bereits von Beginn an gesagt, dass sie nicht mit einer Anstellung als Pfarrerin wird rechnen können.

1933 nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war zunächst gar nicht klar gewesen, ob die Frauen an der Tübinger Universität überhaupt weiter studieren durften. Aber sie durften – und Lenore stürzte sich ins Studium. 1934 übernahm sie zudem die Leitung der Deutschen Christlichen Studentinnenbewegung DCSB.

Sie solle lieber Maschinenschreiben lernen

Nach einem Auswärtssemester in Greifswald schloss sie ihr Studium 1939 erfolgreich ab, erhielt aber zunächst – wie vorhergesagt – keine Anstellung als Theologin. Man legte ihr nahe, sie solle doch ihr Orgelspiel ausbauen, dann könnte sie als Organistin arbeiten. Oder aber sie könne auch Maschinenschreiben lernen, dann könne sie als Sekretärin ihren Lebensunterhalt verdienen!

Aber mit dem Kriegsausbruch änderte sich alles. Viele Pfarrer wurden eingezogen und viele Stellen wurden frei. Lenore Volz erhielt eine Praktikantenstelle in Münsingen. Dort bestand ihre Hauptaufgabe darin, Kirchenbuchauszüge für die Ariernachweise zu erstellen, die nun überall gefordert wurden. Daneben hat sie aber immerhin auch den Bibelkreis im Nachbarort geleitet. Zudem durfte sie Kindergottesdienste abhalten und die Konfirmationsvorbereitung machen – allerdings nur für die Mädchen.

Im April 1940 kam sie nach Bad Cannstatt: sie erhielt eine Anstellung als Pfarrgehilfin im Dekanat mit einem Gehalt von 120 RM, hinzu kam noch das Wohngeld, von dem sie 32 RM für ein möbliertes Zimmer bezahlen musste.

Stadtkirche Bad Cannstatt (privat)

Zu dem Zeitpunkt waren auch in Bad Cannstatt die Hälfte aller Pfarrer zur Wehrmacht eingezogen worden und man hatte zunächst versucht, den Gottesdienstbetrieb mit männlichen Laien aufrecht zu erhalten. Erst als das misslang, erinnerte man sich an die ausgebildeten Theologinnen. Frauen durften damals nicht vor der Gemeinde predigen, sie durften keine Trauungen, keine Taufen und erst recht keine Beerdigungen abhalten. Und auch das Abendmahl durften sie bis dahin nicht reichen. Erst 1942, als der Pfarrermangel immer größer wurde, wurden Frauen auch als Pfarrerinnen mit Predigterlaubnis eingesetzt.

Bevor Lenore Volz in Cannstatt Pfarrdienste versehen durfte, musste allerdings der Kirchengemeinderat befragt werden. Der zögerte zunächst. Erst nach einem Schreiben des Prälaten, der ihnen wahrscheinlich versicherte, dass sie wirklich keinen männlichen Kandidaten bekommen konnten, erklärten sich die Cannstatter bereit und Lenore konnte ihren Dienst antreten.

Talar nicht vorgesehen

Es stellte sich die Frage, was Lenore Volz bei ihrer Tätigkeit als Pfarrerin tragen sollte. Ein Talar war zunächst nicht vorgesehen. So besuchte sie in einem schwarzen wollenen Schwesternkleid die Gemeinden, die sie so aber nicht alle als Pfarrerin akzeptierten. Einmal, so erzählt sie, kam sie in eine Gemeinde, die sie noch nicht kannten. Anscheinend war im Vorfeld auch nicht davor gewarnt worden, dass eine Frau kam. Als sie in ihrem wollenen Kleid die Kanzel betrat, erstarb der vorgehende Gesang so nach und nach. Sowohl der Organist als auch die Gemeinde waren so erstaunt, dort eine Frau zu sehen, dass sie darüber die Musik vergaßen.

Auch aufgrund solcher Erlebnisse konnte Lenore Volz Dekan und Prälat überzeugen, dass auch sie einen Talar benötigte. Sie besorgte sich einen von einem gefallenen Pfarrer. Allerdings durfte sie das weiße „Beffchen“ nicht tragen, das galt als zu männlich. Dies „Beffchen“ war ursprünglich ein Bartschoner. Dabei sollte der Talar vor dem Bart geschont werden. Insofern benötigte Lenore Volz es auch nicht.

Lenore Volz war in vielen Gemeinden im Dekanat unterwegs, auch bis Steinhaldenfeld. Sie war mit dem Fahrrad und später mit dem Motorrad unterwegs und hielt an die 20 Gottesdienste im Monat. Dazu kamen während der Woche Kriegsgebetsstunden und Bibelstunden. Fliegeralarm und Luftangriffe erschwerten ihre Arbeit.

Nach Kriegsende entzog der Oberkirchenrat den Frauen wieder die Predigterlaubnis. Allerdings baten einige Dekanate – so auch Bad Cannstatt – um eine Sondererlaubnis, die es den Frauen weiterhin zu predigen erlaubte. So konnte auch Lenore Volz weiterhin Gottesdienste abhalten.

Nebenbei absolvierte Lenore Volz eine psychologische Ausbildung.

Kampf für Zulassung der Frauen im Pfarramt

Lenore Volz setzte sich ihr Leben lang und verstärkt nach dem Krieg für die Zulassung von Frauen zum Pfarramt ein. So wurde sie folgerichtig 1965 von den württembergischen Theologinnen als Nachfolgerin von Else Breuning zur Vorsitzenden des Theologinnenkonvents gewählt. Es war ein sehr langer Kampf der Frauen um das Pfarramt, der erst mit dem Theologinnengesetz von 1968 gewonnen wurde. 1970 wurde die erste Frau – abgesehen von den Kriegszeiten – Gemeindepfarrerin.

Lenore Volz beschloss, dass sie mit nunmehr 57 Jahren nicht mehr eine Gemeinde übernehmen wollte und bewarb sich 1970 um das erste Krankenhauspfarramt in Bad Cannstatt, wo sie bis zu ihrem Ruhestand arbeitete.

Grabstein von Lenore Volz (privat)

Ihren Lebensabend beschloss sie im Augustinum. Sie starb am 26. September 2009, ihr Grab befindet sich auf dem Uff-Kirchhof. Sie hatte gewünscht im Talar bestattet zu werden.

Wenn man den Lebenslauf dieser so engagierten Frau und Pfarrerin betrachtet, erscheint es nur als folgerichtig, dass seit dem 1. Januar 2019 der Zusammenschluss von vier Cannstatter Gemeinden ihren Namen trägt: Lenore-Volz Gemeinde.

Elisabeth Skrzypek

Literatur

  • Helga Müller: Lenore Volz: „S’isch reach gwäe.“ Die Wiege für die Frau im Talar stand in Bad Cannstatt, in: Pro Alt-Cannstatt (Hg.): „Und die Frauen?“ Cannstatter Frauengeschichte(n) aus zehn Jahrhunderten, Ludwigsburg 2021, S. 262 – 271
  • Michelfelder, Barbara (1999): Lenore Volz. In: Stadt Esslingen, Stadtmuseum, Frauenbeauftragte, Volkshochschule (Hg.): WeiblichES. Frauengeschichte gesucht und entdeckt. Esslingen, S. 178–186 (Porträtfoto)
  • Lenore Volz (1994): Talar nicht vorgesehen. Pfarrerin der ersten Stunde, Stuttgart.
  • Website der Lenore-Volz-Gemeinde